Interview mit Prof. Dr. Michael Schüte
Michael Schüte ist seit 2004 Mitglied der DAV und seit 2007 in der AG Tarifierungsmethodik aktiv. Nach Stationen in der Weiterbildungskommission und dem Ausschuss Weiterbildung, wurde er 2023 in den Ausschuss Schadenversicherung berufen und leitet seitdem die AG Klimawandel.
Seit wann bringst du dich ehrenamtlich in die DAV ein und in welcher Form?
Meine ehrenamtlichen Tätigkeiten in der DAV haben bereits eine lange Historie. Zunächst bin ich 2007 in die Arbeitsgruppe Tarifierungsmethodik aufgenommen worden. Da durfte ich gleich bei einem Buchprojekt der AG – anfangs war es allerdings noch nicht als Buch geplant – sowohl bei der Erstellung einzelner Kapitel als auch bei dem endgültigen Korrekturlesen mitmachen. Insbesondere das Korrekturlesen mit den Kolleginnen und Kollegen war damals immer eine durchaus amüsante Angelegenheit. Da habe ich – ich war ja erst seit wenigen Jahren DAV-Mitglied – eine Menge gelernt. In den letzten Jahren konnten wir mit dieser Arbeitsgruppe weitere Ergebnisberichte zu interessanten Themen wie Inflation oder Betroffenheitsvariablen veröffentlichen. Auch den Hinweis zu den Berufspflichten haben wir überarbeitet und in eine neue zeitgemäße Form gebracht.
Im Zuge der Einführung einer neuen Weiterbildungsordnung war es für mich klar, dass ich mich an den Diskussionen, wie eine solche Ordnung aussehen sollte, beteiligen wollte und habe daher zwei intensive, aber auch ziemlich bereichernde Jahre in der Weiterbildungskommission erlebt – Raum „Bauer“ lässt grüßen! Das Ergebnis mit der Weiterbildungsordnung samt bewährtem Tutorenprinzip und dem Weiterbildungskonto, wie wir es damals in der Unterarbeitsgruppe Technische Umsetzung spezifiziert haben, kann sich – so glaube ich – durchaus sehen lassen.
Was mich hier vor allen Dingen freut, ist die Tatsache, dass dieses Konto seit Einführung nur kosmetisch verändert wurde. Das zeigt mir, dass unsere Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen und die daraus sich entwickelnden Spezifikationen fruchtbar und insbesondere nachhaltig waren. Fortführen konnte ich dies im Ausschuss Weiterbildung bis zu meinem Wechsel in den Ausschuss Schadenversicherung im Jahre 2023. Aktuell leite ich seit Sommer letzten Jahres die Arbeitsgruppe Klimawandel. Hier greifen wir aktuelle Aspekte rund um die Themenfelder Klimawandel und Nachhaltigkeit mit Bezug auf die Schadenversicherung auf. Das Spannende hierbei ist, dass wir in diesen Themenbereichen flexibel auf verschiedene Anfragen reagieren müssen und bezüglich der Herangehensweise nicht strikt festgelegt sind.
Mit welchem Thema befasst sich deine Arbeitsgruppen? Und was ist deine Aufgabe in den Gremien?
In der Arbeitsgruppe Tarifierungsmethodik beschäftigen wir uns mit allen Fragen rund um die Tarifierung in der Schaden- und Unfallversicherung. Aktuell finde ich dabei die Diskussion um den Fairness-Begriff äußerst wichtig. Dies hat ja zudem Auswirkung auf die aktuelle Diskussion, ob eine Elementarschadenpflichtversicherung eingeführt werden soll. Was wäre denn in diesem Zusammenhang fair zu nennen? Auch Impact Underwriting oder Insurance Based Emissions stellen eine Verbindung zu meiner zweiten Arbeitsgruppe dar, in der wir anregende Diskussionen
führen und natürlich einen Input für jedes DAV-Mitglied liefern wollen, wie Klimawandel und Nachhaltigkeit möglicherweise unsere Produktwelt in der Versicherungswirtschaft beeinflussen und ändern können. Natürlich beschäftigt uns dabei auch das Thema Pflichtversicherung ja/nein. Die Diskussion um die Elementarversicherung, ob als Pflicht oder freiwillig, ebbt nicht ab und wird wohl weiterhin nicht abebben, denn nach einem Starkregen ist vor einem Starkregen. Hier wollen wir uns fachlich aktuariell in die Diskussion einbringen. Dazu sichten wir derzeit zunächst verschiedene Nat Cat-Versicherungsmodelle und stellen diese in einer Art aktuariellen Synopse zusammen, bevor wir diese dann fachlich bewerten wollen. Eine gewisse Grundlagenarbeit halte ich dabei als Input nötig, damit wir eine sachlich ausgewogene Diskussion zu dem Thema Elementarschadenpflichtversicherung führen und die Argumente pro und contra abwägen können – wie es unser Selbstverständnis sein sollte, was sich ja gerade auch in der neuen Satzungspräambel widerspiegelt.
Wir haben in dieser Arbeitsgruppe nach der Corona-Pandemie wieder ein jährlich stattfindendes Präsenztreffen eingeführt, bei dem wir uns Zeit nehmen, einen Blick auf die wichtigen Themen zu werfen und diese dann zu diskutieren. Dieser Austausch bietet für uns alle einen erheblichen Mehrwert. Dabei ist mir wichtig, dass ich mich mit allen Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe nicht nur fachlich, sondern auch persönlich austauschen kann. So verbinden wir unsere jährlichen Treffen mit einem gemeinsamen Vorabend, bei dem dieser persönliche Austausch nicht zu kurz kommt. Ich glaube, dass wir gemeinsam etwas für unsere DAV bewirken können. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, dass wir als Gemeinschaft agieren und sprechen. Das können wir umso besser, wenn wir uns persönlich kennen und verstehen.
Zudem bin ich Bindeglied von Schadenausschuss und Arbeitsgruppe Klimawandel zu der Koordinationsgruppe Sustainability. In dieser Koordinationsgruppe nehmen wir einen spartenübergreifenden Blick auf alle Themen rund um Nachhaltigkeit ein, d. h. nicht nur auf die Schadenversicherung bezogen. Aus meiner Sicht wird Nachhaltigkeit uns als Versicherungswirtschaft noch mehr betreffen und damit beschäftigen als jetzt. Wir als Aktuarinnen und Aktuare bringen das nötige Rüstzeug mit, um den Prozess hin zu einem klimafreundlichen Wirtschaften mit Sachverstand zu unterstützen und aktiv sogar zu gestalten. Eine funktionierende Wirtschaft baut auf einem funktionierenden Versicherungswesen auf. Das zeigt die Geschichte. Risiken kann man dann eingehen, wenn man im Verlustfall nicht alleine dasteht, sondern von einer starken Gemeinschaft getragen wird.
Wie viel Arbeitsaufwand bringen die verschiedenen Aktivitäten, wie Arbeitstreffen, Veranstaltungen, Ausarbeitungen und der Austausch mit anderen ehrenamtlichen Kollegen mit sich?
Engagement bedeutet natürlich immer einen zeitlichen und insbesondere mentalen Einsatz. Dieser Einsatz beschränkt sich nicht nur auf die Vorbereitungen unserer Arbeitstreffen etc., denn ich muss regelmäßig im Blick behalten, wo sich neue Themen mit möglicher Relevanz für uns als DAV-Mitglieder ergeben. Das macht es gleichzeitig so spannend und intellektuell herausfordernd. Andererseits ist das ja gerade auch der Reiz unseres Berufsstandes. Zeitliches und mentales Engagement, um mit der Zukunft rechnen zu können, ist aus meiner Sicht ein gutes Investment in die Zukunft – nicht nur für einen selbst. Und weil wir unsere Aufgaben in den Arbeitsgruppen klug verteilen, können wir mit unserem Einsatz, auch wenn dieser noch so klein sein mag, eine Menge bewirken. Dafür bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitsgruppen dankbar. Ohne diese kollegiale Miteinander wäre unser Output deutlich geringer.
Wie schaffst du es, dein Ehrenamt mit deinem Berufsalltag und dem Privatleben in Einklang zu bringen?
Es gibt Zeiten, in denen es etwas stressig wird, weil Abgabefristen bspw. für einen Artikel einzuhalten sind. Da muss ich schon manchmal einen kühlen Kopf bewahren und überlegen, welche Schritte ich wie priorisieren muss. Ehrenamt ist mir allerdings nicht nur im beruflichen Kontext, sondern auch im Privatleben wichtig. So engagiere ich mich seit fast zwanzig Jahren in den politischen Gremien meines Heimatortes und bringe mich im Sportverein sowie in verschiedenen Musikgruppen ein. Ohne ehrenamtliches Engagement kann unsere Gesellschaft nicht vorangebracht werden. Das gilt auch für unsere DAV. Unsere Gesellschaft und auch unsere DAV brauchen daher immer Leute, die sich für eine Sache engagieren, für eine Sache brennen. Ohne das geht es nicht. Da mich sehr viele Dinge interessieren, kann ich bei meinen Ehrenämtern meine persönlichen Interessen an Themen wunderbar mit den beruflichen verbinden. Und das ist gut so. Es ist doch toll, wenn man mit Kolleginnen und Kollegen einen Ergebnisbericht erarbeitet hat, von den man weiß, dass dieser für unsere Mitgliedschaft nützlich sein wird. Und wenn es doch einmal zu turbulent werden sollte, kann ich mich durch gute Gespräche, ein gutes Buch, meine musikalischen Aktivitäten in verschiedenen Gruppierungen oder meine sportlichen Aktivitäten beim Karate ganz gut herunterdimmen. Natürlich unterstützt mich meine Familie in besonderer Weise und trägt meine Aktivitäten mit.
Wie wirst du durch die Vereinigung bzw. die Geschäftsstelle in deinem Ehrenamt unterstützt? Wirst du von deinem Arbeitgeber unterstützt?
Ich bin der Geschäftsstelle dankbar, dass sie mich bei der Führung der Arbeitsgruppe top unterstützt. An dieser Stelle möchte ich Marion Krämer danken, dass sie so professionell alles Organisatorische ausführt und mich davon entlastet. Das ist schon eine große Hilfe. Auch von allen anderen Geschäftsstellenkolleginnen und -kollegen wie z. B. der Presseabteilung oder unserer DAV-Referentin für Schaden, Nadine Kolodziej, erfahre ich immer auf das Neue eine professionelle Unterstützung bei den verschiedenen Themen, die mich beschäftigen. Die Liste der Namen könnte ich jetzt beliebig verlängern. Bei der Geschäftsstelle finde ich immer ein offenes Ohr für die Belange meines ehrenamtlichen Engagements.
Zudem bin ich meiner Arbeitsgeberin, der Helvetia Schweizerischen Versicherungsgesellschaft AG, wirklich zu großem Dank verpflichtet, dass sie mich in meinem DAVEngagement immer unterstützt und gefördert hat. Als eher mittelständisches Unternehmen in Deutschland leben wir von dem Austausch, den wir über die verschiedenen DAV-Arbeitsgruppen haben. Über dieses Engagement bleiben wir auf dem neuesten Stand der aktuariellen Facharbeit und erhalten wichtige Impulse für unsere eigene Arbeit als Give Back.
Was motiviert dich, sich diesen vielfältigen ehrenamtlichen Aufgaben zu widmen? Was gefällt dir daran?
Ehrenamtliches Engagement ist der Kitt unserer Gesellschaft, unserer DAV. Wenn ich mich einbringe, ohne gleich zu fragen, was dann für mich herausspringt, gebe ich zunächst etwas. Weil ich gebe, gehe ich auf andere zu. Weil ich auf andere zugehe, beschäftige ich mich mit ihnen. Weil ich mich mit ihnen beschäftige, versuche ich, sie zu verstehen und Verständnis zu entwickeln. Gemeinsames Verständnis füreinander dient dem Miteinander. Diese Miteinander brauchen wir. Das sehe ich auch wie Jan Skudlarek, der das in seinem Buch „Wenn jeder an sich denkt, ist nicht an alle gedacht“ treffend beschreibt. Und schauen wir uns doch einmal die großen Zukunftsaufgaben wie bspw. Klimawandel oder nachhaltiges Wirtschaften oder Künstliche Intelligenz an. Diese können wir nur gemeinsam angehen und Lösungen entwickeln. Die Zeiten des „einsamen Helden“, der die Welt im Alleingang retten kann, sind aus meiner Sicht vorbei. Wir müssen lernen, gemeinsam zu agieren, miteinander reden anstatt übereinander und sogar gegeneinander. In unseren Arbeitsgruppen praktizieren wir dieses Miteinander. Und dieses Miteinander trägt hohe Zinsen. Dadurch erhalten wir letztlich, wenn wir uns engagieren, deutlich mehr, als wir als Input gegeben haben. Und das ist doch wirklich eine gute Rendite!
Würdest du anderen Mitgliedern eine ehrenamtliche Mitarbeit in der Vereinigung empfehlen? Welche Vorteile siehst du?
Ich habe durch mein ehrenamtliches Engagement viel von Kolleginnen und Kollegen gelernt. Ohne das wäre ich heute nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Und das Plus dabei ist, dass wir auf diese Weise eine Menge toller Kolleginnen und Kollegen kennenlernen und ein Netzwerk bilden können. Dieses Netzwerk trägt durch den beruflichen Alltag. Und sei es einfach, dass wir uns über Fragen austauschen, bei dem es mehrere Sichtweisen auf diese Fragen gibt. Eine gute Diskussion mit einem fairen Austausch der Argumente stellt die Voraussetzung für Entwicklung dar – auch persönlich. Und wer gelernt hat zu argumentieren und durchaus auch einmal die Sichtweise von jemand anderen einzunehmen, ist weniger empfänglich gegen unsachliche Argumente, gegen Verschwörungstheorien. Das ist in unseren heutigen Zeiten nicht zu unterschätzen. Wir werden kompetent im kritischen Denken und Argumentieren, im sachlichen Abwägen der Argumente. Zudem kann auch ein Blick über den Tellerrand nie schaden: Wie machen das andere, lässt sich das übertragen, was können wir lernen? Gerade das wollen und sollten wir ja als DAV nutzen, wenn wir von der Vielfalt unserer Mitglieder sprechen. Vielfalt bringt uns weiter. Eins meiner Lieblingszitate – von George E. P. Box – lautet: „All models are wrong, but some are
useful.“ Weil ich a priori nicht weiß, welches Modell möglicherweise „useful“ sein könnte, brauche ich eine Vielfalt an möglichen Ideen.
Ich kann allen empfehlen, mitzumachen, sich einzubringen, mitzudiskutieren und damit die Themen weiterzuentwickeln und lösungsorientiert anzugehen. Nicht nur die Gemeinschaft der Aktuarinnen und Aktuare profitiert davon, sondern auch vor allen Dingen man selbst. Das ist wie mit einem Puzzleteil: Ein Puzzleteil mag als einzelnes Teil vielleicht klein und unbedeutend sein, aber verbunden mit vielen anderen Teilen ergibt sich ein schönes tragfähiges Bild.
Welchen Themen sollte sich die DAV zukünftig (noch) stärker widmen? Welche Aufgaben siehst du zukünftig für das Ehrenamt in der DAV? Was wünschst du dir für deine weitere ehrenamtliche Tätigkeit?
Naturgemäß sehe ich die Themen Klimawandel und nachhaltiges Wirtschaften als die großen Themen an, die uns in nächster Zeit beschäftigen werden. Natürlich kommt auch das Thema Künstliche Intelligenz dazu, bei dem wir als Aktuarinnen und Aktuare sprechfähig sein sollten, da dies auch für die Versicherungswirtschaft einen großen Umbruch bedeuten wird. Ich glaube, wir können die Beschäftigung mit diesen Themen und das Durchdenken dieser Themen von unserer Ausbildung her. Wir brauchen engagierte Kolleginnen und Kollegen, damit wir das gemeinsam
anpacken können. Unsere DAV bietet hierfür den richtigen Rahmen, ein Netzwerk von Aktuarinnen und Aktuaren zu bilden, damit wir unsere Zukunft gestalten können. Zu gestalten, anstatt gestaltet zu werden, mitzudenken anstatt mitgedacht zu werden, Wissenschaftlichkeit und Kritikfähigkeit zu erhalten, anstatt vorgefertigte Dogmen gebetsmühlenhaft zu vertreten: Dafür sehe ich uns als Aktuarinnen und Aktuare verantwortlich und gerüstet. Den Netzwerkgedanken weiter zu fördern und damit uns alle in unserer Vielfalt mit unterschiedlichen Fähigkeiten anzusprechen und damit letztlich unsere DAV weiterzuentwickeln, sehe ich als eine Hauptaufgabe an, bei der es vor allen Dingen auf uns selbst ankommt. Es ist manchmal anstrengend und fordernd, aber es lohnt sich.
Wenn ich mit meiner sechzehnjährigen Tochter über Kommunikationsmedien spreche, merke ich, dass sie in diesen Dingen ganz anders unterwegs ist. Vieles wird visuell und auch wesentlich direkter erledigt. Daher freue mich auch darauf, wenn wir mit dem neuen DAV-Studio neue Wege der Kommunikation gehen werden, um unsere Themen sowohl innerhalb der DAV zu verbreiten als auch neue Adressatenkreise zu erschließen. Das halte ich für besonders wichtig. Tue Gutes und sprich darüber. Das trägt dazu bei, Fake News entsprechend als solche zu kategorisieren
und womöglich einzudämmen und unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln. In Zeiten eines exponentiellen Anstieg von Fake News und damit verbunden eines schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhaltes stellt dies eine Aufgabe dar, der wir uns mit großen Engagement widmen sollten.