Jetzt müssen wir die notwendigen Reformen angehen – die Zeit wird knapp

Wir als Deutsche Aktuarvereinigung e.V. hatten mit unserer Kritik an den 2024 veröffentlichten Plänen des Bundesministeriums der Finanzen zur Ausgestaltung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge nicht hinterm Berg gehalten und auch konkret benannt, mit welchen Anpassungen die Zukunftsfestigkeit der Systeme aus aktuarieller Sicht gewährleistet werden kann. Umso enttäuschender ist es, dass in der letzten und durch die Neuwahl Ende Februar verkürzten Legislaturperiode nur kleinste Bruchstücke der bereits abgestimmten Gesetzesvorhaben zur Neuaufstellung der Alterssicherung umgesetzt wurden. Die großen Herausforderungen bestehen weiterhin und wurden an die nächste Regierung weitergegeben. Dabei drängt die Zeit immer mehr, denn die Alterung der Gesellschaft, der Renteneintritt der Babyboomer-Generation stoppt nicht für die Zeit von Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen.
Für die neue Regierung ist es – neben den weiteren, zum Teil genauso drängenden Themen – zwingend notwendig, sich schnell und mit hoher Geschwindigkeit den Themen gesetzliche Rente, Neuaufstellung der betrieblichen
Altersversorgung sowie der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge zu widmen, mutige Reformen anzustoßen und damit die Alterssicherung langfristig auf demografisch sichere Füße zu stellen.
Wofür zusätzliche Absicherung?
Neben der gesetzlichen Rentenversicherung als erste Säule sichern die betriebliche Altersversorgung als zweite Säule und die private Altersvorsorge als dritte Säule für breite Bevölkerungsschichten den Lebensstandard im Alter. Die
gesetzliche Rentenversicherung ist durch den Generationenvertrag umlagefinanziert. Das bedeutet, die Beiträge der aktuell Berufstätigen werden unmittelbar als Rentenzahlungen an die heutigen Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Anders als in den Säulen zwei und drei findet kein Sparprozess für die „eigene Rente“ statt. Auch die Renten künftiger Ruheständler müssen folglich von den Beiträgen der jeweils zu dem Zeitpunkt arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden.
Das Leistungsniveau der gesetzlichen Altersrente hat sich seit der Jahrtausendwende durch das sich zunehmend ungünstig entwickelnde Verhältnis von Rentenempfängerinnen und -empfängern zu Beitragszahlenden bereits
abgesenkt. Dieses Absinken wird sich allerdings aufgrund der demografischen Entwicklung ohne weiteres Gegensteuern weiter fortsetzen. Mögliche Ansatzpunkte innerhalb des Systems sind höhere Beitragssätze oder steuerfinanzierte Zuschüsse. Beide dürfen nicht auf ein Niveau steigen, das die deutsche Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb noch stärker belastet, als dies bereits heute durch vielfältige Ursachen – nicht nur, aber auch durch Rentenlasten – der Fall ist. Externe Ansätze zur Stabilisierung, wie eine höhere Produktivität der Volkswirtschaft sind nur bedingt steuerbar. Ein damit absehbares weiteres Absinken des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rente kann für die Bürgerinnen und Bürger durch zusätzliche kapitalgedeckte, d. h. mit Sparprozessen hinterlegte Vorsorge der Säulen zwei und drei aufgefangen werden. Hier ergänzen sich das umlagefinanzierte System der gesetzlichen Rente und das kapitalgedeckte System der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge ideal, um die Lücken, die auf die Beitragszahlerinnen und -zahler im Ruhestand zukommen, zu verringern.
Bürgerinnen und Bürger sorgen bereits aus eigener Motivation heraus privat für das Alter vor, wie etwa durch Immobilienerwerb, Lebensversicherungen, Aktieninvestments, Edelmetallkäufe, das Bilden von Bar-Rücklagen etc. Daneben setzt der Staat weitere Anreize durch steuerfinanzierte Subventionierung von Altersvorsorgeverträgen, um die Vorsorge für alle Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu machen. Diese Überlegung lag bereits der Anfang der
Nullerjahre eingeführten Riester-Rente zugrunde, um die damals umgesetzte Niveauabsenkung der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen.
Was steht an?
Ziele des Staates sind die dauerhafte Sicherung des Lebensstandards im Alter und die Vermeidung von Altersarmut in der Breite der Bevölkerung. Wenn wir als Aktuarinnen und Aktuare auf die private Altersvorsorge schauen, dann
sehen wir vielfältige Möglichkeiten, wie Menschen für ihren eigenen Ruhestand vorsorgen können. Gerade durch diese Vielfalt findet jeder Bürger seine individuelle Vorsorgemöglichkeit, passend für seinen Geldbeutel und die individuelle Risikopräferenz. Für die Angebote zur Lebensstandardsicherung, die zusätzlich staatlich gefördert werden, müssen dagegen klare Regeln gelten, die die Ziele der Förderung unterstützen. Dabei sind lebenslange Zahlungsströme und die Absicherung in einer Risikogemeinschaft, dem sogenannten Kollektiv, essenziell. Nur im Kollektiv können Sicherungsmechanismen, Garantien und glättende Elemente dargestellt werden, die bei individueller Vorsorge fehlen oder deutlich kostspieliger sind.
Um die guten Intentionen der Riester-Gesetzgebung wiederzubeleben, braucht es Reformen. Basis ist ein deutlicher Abbau bürokratischer Maßnahmen, sowohl für die Bürgerinnen und Bürger wie auch für die durchführenden
Einrichtungen. Die lebenslange Absicherung von Zahlungen in einer Risikogemeinschaft wird vielfältig angeboten und wahrgenommen, es fehlt aber noch die Möglichkeit, niedrigere Garantien für mehr Renditepotenzial anzubieten.
Zur Sicherung der Risikogemeinschaft und zur Stärkung der Kapitalanlagemöglichkeiten bedarf es noch einer Begrenzung von Wechselmöglichkeiten. Auch die betriebliche Altersversorgung braucht noch einmal einen Schub. Die schnelle Weiterentwicklung und Umsetzung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes II ist dafür ein wichtiger Ausgangspunkt. Auch die Ausweitung des Sozialpartnermodells mit reiner Beitragszusage sollte auf der Agenda stehen, um es kleineren und mittleren Arbeitgebern leichter zu machen, den Einstieg in die bAV zu finden.
Unerlässlich ist, sofort in der kommenden Legislaturperiode in allen Säulen der Alterssicherung eine zukunftsfeste Gesetzgebung zu erarbeiten. Wir müssen jetzt die notwendigen Reformen angehen – die Zeit ist bereits mehr als knapp. Die kommunikative Arbeit, um für eine deutlich zunehmende Verbreitung zusätzlicher kapitalgedeckter Alterssicherung zu sorgen, fängt nämlich erst nach einer Umsetzung richtig an.