Interview mit Prof. Dr. Matthias Wolf zum Thema Alterssicherung
Wenn wir uns die staatliche geförderte private Altersvorsorge anschauen, wie sie jetzt aktuell ausgestaltet
ist – was läuft aus Ihrer Sicht da schief?
Die Hauptthemen für mich sind die zu hohe Komplexität und damit einhergehend die fehlende Transparenz. Sinn ist es ja, das Thema Altersvorsorge breit in die Gesellschaft zu bringen und verschiedene Gruppen von Menschen damit zu erreichen. So, wie die private Altersvorsorge und die bAV jetzt ausgestaltet sind, wird das unnötig erschwert.
Hier spielt das Thema Value for Money, also der Kundennutzen, der auch von der Aufsicht eingefordert wird, mit hinein?
Genau, das ist ein großes Thema, das auch die BaFin treibt. Gerade bei der Altersvorsorge müssen die Versicherer ja nachweisen, dass ihre Produkte den entsprechenden Kundennutzen stiften – vereinfacht gesagt, heißt das, dass
am Ende eine Rendite auch oberhalb der Inflation herauskommt. Was so gut wie gar nicht betrachtet wird, ist der Kundennutzen dieser Förderungen, also Zulagen oder steuerliche Berücksichtigungen, die vom Gesetzgeber
festgelegt sind. Der ist noch schwieriger zu messen. Das kommt mir jedenfalls zu kurz und sorgt für mangelnde Transparenz an dieser Stelle.
Können Sie das etwas konkreter ausführen?
Es fängt im Grunde damit an, dass oft unklar ist, was eigentlich Förderung und was steuerliche Behandlung ist. Ganz vereinfacht gesagt ist es ja so, dass ich die Möglichkeit einer nachgelagerten Besteuerung habe. Das ist grundsätzlich vorteilhaft für den Endanwender. Er zahlt also nicht die Steuern auf die Beiträge zur Altersvorsorge zum Zeitpunkt der Einzahlung, sondern erst bei Auszahlung. Das rentiert sich durch den dann meist geringeren Steuersatz aufgrund eines geringeren Einkommens. Die andere Variante der Ausgestaltung ist die Auszahlung von Zulagen. Vielen ist gar nicht klar, dass es nur eines von beidem gibt. Es gibt dann die sogenannte Günstigerprüfung, bei der geprüft wird, ob die Zulage oder der Steuervorteil günstiger ist. Wenn der Steuervorteil günstiger ist, zahlt man die Zulage quasi auch über die Steuer wieder zurück. Hinzu kommt – das habe ich auch im Bekanntenkreis schon erlebt – dass viele nicht wissen, dass die Rente am Ende vollständig besteuert wird. Das geschieht unabhängig davon, ob jemand Steuervorteil oder Zulage bekommen hat. Auch eine Zulage ist kein Geschenk, sondern wird zumindest in Teilen wieder über die spätere Steuerzahlung in der Auszahlphase zurückgezahlt. Dieses Problem ist auch im Rahmen der von der Ampel vorgeschlagenen Reformen nicht angegangen worden.
Da Sie es schon ansprechen. Die Reformideen liegen seit dem Ampel-Aus ja auf Eis, bzw. werden nun nicht umgesetzt. Welche Aspekte dessen fanden Sie positiv und was eher negativ an den Vorschlägen?
Was ich extrem befürworte, ist der Übergang auf eine stärker beitragsproportionale Zulagensystematik, die trotzdem noch einen Geringverdienerbonus beinhaltet. Durch die Beitragsproportionalität fiele der vom hohen bürokratischen Aufwand begleitete Mindestbeitrag weg. Aktuell müssen bei Einkommensänderungen immer auch die Beiträge angepasst werden. Sonst drohen Zulagenrückzahlungen, verbunden mit hohem Aufwand auf Anbieter- wie Kundenseite. Es fiele bei Beitragsproportionalität nicht nur Bürokratie weg, sondern es würde auch Transparenz geschaffen: Ich zahle einen Euro ein und erhalte 20 Cent Zulage. Auch für richtig halte ich, den Beitrag, der förderfähig ist, deutlich zu erhöhen. Da waren statt wie bisher 2.100 Euro zukünftig 3.000 Euro, beziehungsweise langfristig 3.500 Euro vorgesehen. Das ergibt, wenn wir die Inflationsentwicklung seit der Festlegung im Jahr 2002 sehen, absolut Sinn, um private Altersvorsorge in einem Rahmen zu betreiben, der Rentenlücken schließen kann.
Was mir fehlt, ist, dass überhaupt nicht grundlegend an das Thema Alterssicherung herangegangen wurde. Man hat die eben von mir ausgeführten einzelnen Stellschrauben gedreht, aber an dem Grundsystem – Günstigerprüfung, steuerliche Berücksichtigung etc. – wäre nichts geändert worden. Es wurde damit eine Chance vertan, das System grundlegend zu vereinfachen. Man hätte es beispielweise zu einer reinen Zulagenförderung ohne spätere volle Besteuerung der Rente machen können.
Hätte das nicht auch Potenzial geboten, der angespannten Haushaltslage des Bundes zu entsprechen, bei der Förderung Einsparungen vorzunehmen und dennoch durch später wegfallende Besteuerung im Alter einen Mehrwert für die Kunden zu schaffen?
Ja, genau, was Bundesinvestitionen angeht, hätte man damit das Ganze etwas nach hinten geschoben. Vielleicht lohnt es, auch noch einmal anzuschauen, was falsch gelaufen ist in der Vergangenheit. Es wurde an allen drei Säulen
mehr oder weniger herumgeschraubt – am Rentenpaket 2, dem BRSG II, pAV – ohne das aus gesamthafter Sicht zu betrachten und von da aus in die einzelnen Säulen hineinzugehen.
Zum Beispiel?
Wir sind sehr fragmentiert unterwegs. Ergibt es beispielsweise Sinn, Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rente vorzusehen, wenn wir eigentlich sagen, wir wollen bAV und private Vorsorge stärken, die genau diese Kapitalmarktbeteiligung abdecken? Dass wir diesen relativ absurden Vorschlag einer schuldenfinanzierten Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung haben und andererseits im BRSG II sagen, die bAV-Durchdringung müsse deutlich erhöht werden, passt eigentlich nicht zusammen. Stattdessen könnte ich sagen, man lässt das Rentenniveau wie vorgesehen in Abhängigkeit der demografischen Entwicklung absinken und schließt die Rentenlücke kapitalgedeckt über die pAV/bAV.
Diese Unstimmigkeiten haben bekanntlich auch mit der jeweiligen Ressortverantwortlichkeit zu tun. Vieles, was für die pAV angedacht war, hätte wiederum Gesetzesänderungen in der bAV notwendig gemacht.
Ja, es gibt da eine Menge Wechselwirkungen. Mindestens die muss man auf dem Schirm haben. Auch bei der Betriebsrente sehe ich gute Anlagen in der Diskussion: Das Opt-out-Thema wurde diskutiert, auch eine Öffnung der Sozialpartnermodelle, um die Variante der reinen Beitragszusage in der Breite möglich zu machen. Bei der Ausgestaltung des BRSG II kamen mir der Abbau von Komplexität und Transparenz allerdings ebenfalls zu kurz. Allein die Tatsache, dass es unterschiedliche steuerliche Behandlungen gibt, abhängig vom jeweiligen Durchführungsweg, ist so ein Beispiel. Das hilft wieder nicht, das Thema in die Breite zu bekommen. Man könnte stattdessen versuchen, wirklich Top-down heranzugehen und zu überlegen, was dann noch Sinn hat. Dann komme ich wieder zu dem Thema: Es ergäbe Sinn, die private Altersvorsorge allein über Zulagen zu steuern, da das Thema Steuervergünstigung und nachgelagerte Besteuerung in der bAV schon angelegt ist – je nach Durchführungsweg sogar in einem viel höheren Maße. So würde auch deutlich, in welcher Säule welche Art von Vorteil vorherrscht.
In der Wahlpflicht für die Arbeitnehmer, also dem bAV-Opt-out, sehen Sie einen richtigen Schritt, wie ich Ihren Äußerungen entnehmen kann?
In Großbritannien zum Beispiel hat es zu einer deutlichen Erhöhung der Durchdringung geführt. Die Parameter, etwa, was die Höhe des verpflichtenden Arbeitgeberbeitrags angeht, muss man sich anschauen, aber vom Grundsatz her halte ich das für sehr sinnvoll. Alles, was dazu beiträgt, die bAV-Dichte zu erhöhen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wie nimmt man bei all diesen Themen die Menschen mit, die eine zusätzliche Alterssicherung sehr gut gebrauchen, sich eine solche aber nicht so einfach leisten können?
Bei einem kleinen Einkommen und einem geringen Steuervorteil ist die reine beitragsproportionale Förderung kein ausreichender Anreiz. Diesen setzen am besten zusätzliche absolute Beiträge, also Geringverdiener-Boni, wie es
sie sowohl in der pAV als auch der bAV gibt. Diese haben aber natürlich den Nachteil eines gesteigerten bürokratischen Aufwands, weil der Geringverdiener-Nachweis wieder erbracht werden muss. Das bekommen wir nicht
zu 100 Prozent gelöst. Ich denke aber, wir müssen das machen, um diesen Menschen einen Anreiz zu geben. Bei einem geringen Einkommen hat ein absoluter Beitrag dann aus Rendite-Gesichtspunkten schon einen starken Hebel.
Die DAV hatte an den Reform-Vorhaben der Ampel-Regierung ihre Kritik geäußert. Unter anderem sprach sie sich gegen die Gleichstellung von Auszahlungsplänen mit möglichen Ablaufdaten aus. Die Argumentation ist ja, dass der Staat erwarten sollte, dass es in der von ihm geförderten Altersvorsorge, die Lücken der gesetzlichen Rente zu schließen hat, um eine lebenslange Absicherung geht und nicht um Auszahlungen, die irgendwann enden könnten. Wie ist Ihre Position dazu?
Erst einmal finde ich wichtig, dass für alle Produkte, auch die Auszahlungspläne, die Regelung gelten sollte, dass man sich das Geld nicht einfach komplett auszahlen lassen kann. Ich bin ein Stück weit zwiegespalten, weil ich, wie
schon eben ausgeführt, denke, wir sollten das große Ganze sehen. Es kommt immer darauf an, wozu die private Altersvorsorge im Gesamtkontext dient. Wenn ich davon ausgehe, eine Rentenlücke zu haben, die aufgrund der demografischen Entwicklung entsteht, kann es ja sein, dass ich eine betriebliche Altersversorgung habe, die lebenslange Renten garantiert. Dann kann ich mir vorstellen, dass eine anders gestaltete private Altersvorsorge – etwa auch aus Diversifikationsgründen – Sinn ergeben könnte.
Zum anderen muss man auch sagen, dass die Annahmen dafür, dass ein solcher Auszahlungsplan wirklich nach dem Alter 85 ausläuft, oft ein wenig zu hoch gegriffen sind und von konstanten Entnahmen ausgehen. Es gibt da durchaus auch andere clevere Auszahlungswege, die die Kapitalmarktentwicklung berücksichtigen und die Auszahlungen anpassen.
Ich habe hier an der Hochschule schon häufig mit jungen Leuten zu tun. Diese sind oft sehr kapitalmarktaffin. Da stellt sich die Frage, ob man Anreize schaffen möchte, dass sie Altersvorsorge betreiben – im Zweifel auch über einen Entnahmeplan – wenn die andere Option ist, dass sie keine Absicherung betreiben. Denn es geht am Ende ja genau darum: Menschen zu Altersvorsorge zu bringen, um sie vor möglicher Altersarmut zu bewahren. Die Lebensversicherungsbranche muss da den Wettbewerb suchen, um im Vergleich konkurrenzfähiger zu sein. Es gibt schließlich auch Produkte, die in der Rentenphase Fonds-Partizipation zulassen. Das sind Schritte in diese Richtung.
Eine Förderfähigkeit alternativer Formen der Altersvorsorge würde ich daher nicht pauschal verneinen. Hier muss man sich immer den Gesamtkontext ansehen. Insgesamt finde ich das Argument aber natürlich schlüssig, dass es besser ist, lebenslange Zahlungen zu garantieren, wenn die private Altersvorsorge die unweigerlich entstehenden Lücken der GRV zu schließen hat.
Zum Abschluss: Das Thema Alterssicherung spielte im Winter-Wahlkampf überhaupt keine Rolle. Wenn wir uns die demografische Entwicklung ansehen – wie viel Zeit bleibt uns noch, bevor es ungemütlich wird?
Stimmt. Natürlich macht keiner Wahlkampf damit, beispielsweise in Zukunft Renten nur noch entsprechend der Inflation anzupassen oder dass das Renteneintrittsalter erhöht werden muss, um das System langfristig tragfähig zu halten. Dass wir die drei Reformanstrengungen während der Ampelkoalition hatten, war überfällig. Diese sind nun wieder komplett ausgebremst worden. Bis wir eine neue Regierung haben und bis dieses Thema auf die Agenda
kommt, wird einige Zeit ins Land gehen. Wir sind, anders als andere Länder wie Schweden, sehr spät dran, was die kapitalgedeckte Vorsorge angeht. Im Grunde, um Ihre Frage aufzugreifen, zu spät. Die Boomer gehen bald in Rente, das Problem des demografischen Wandels steht also unmittelbar bevor und kann in dieser Generation auch gar nicht mehr abgefangen werden. Getan werden muss trotzdem etwas für künftige Generationen. Es ist höchste Zeit, die Ansätze der Ampel zumindest wieder aufzunehmen und in allen drei Säulen in die Gänge zu kommen.
Das Interview führte Martin Brandt.