Einführung in ein RORAC-Rahmenkonzept unter IFRS 17 für die risiko- und wertorientierte Steuerung einer Versicherungsgruppe
Einleitung
a. Kurzbeschreibung des KPI RoC
Mit Einführung des neuen IFRS-Standards für „Versicherungsverträge” – IFRS 17 – am 1. Januar 2023 gibt es in den Versicherungsunternehmen eine neue, global einheitliche Metrik, die in die Unternehmenssteuerung einbezogen werden kann. Für Versicherungsunternehmen im deutschen Markt, die nach IFRS bilanzieren müssen, ergeben sich damit drei regulatorische Standards (IFRS, Solvency II und HGB), die bei der Steuerung eines Unternehmens zu berücksichtigen sind.
Die Größe Return-on-Risk-Adjusted-Capital (RORAC), auch kurz als Return-on-Capital (RoC) bezeichnet, setzt den in der Periode erzielten Ertrag oder Gewinn in Relation zum benötigten Risikokapital. Der Gewinn eines Versicherungsunternehmens ist eine Erfolgsgröße unter IFRS, wohingegen das notwendige Risikokapital ein Kernelement des Solvency-II-Standards bildet. Die Steuerungsgröße (engl.: Key Performance Indicator, kurz KPI) RoC kann somit die beiden Regelwerke Solvency II und IFRS (und darin im Speziellen IFRS 17) in Verbindung bringen und zur risiko- und wertorientierten Steuerung verwendet werden.
b. Aussagekraft des KPI RoC
Der Indikator RoC ist für verschiedene Stakeholder von Interesse. Zum einen ist der RoC primär ein relevanter KPI für die interne Steuerung eines Unternehmens. Der RoC zeigt auf, welche Geschäftsfelder die höchste Rendite auf das eingesetzte Risikokapital ergeben. Entsprechend wird freies Risikokapital im Unternehmen möglichst in Sparten mit hohem Renditepotenzial allokiert, um den Unternehmensgewinn unter der gegebenen Risikotragfähigkeit nachhaltig zu optimieren. Volkswirtschaftlich dient dies als Knappheitssignal und damit indirekt dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Das heißt, in Versicherungszweige mit hohen RoC-Quoten könnte zusätzliches Kapital fließen und zu einem Sinken der Preise der Versicherungsprodukte führen, während Versicherungszweige mit niedrigen RoCQuoten eher auf eine Sättigung des Marktes hindeuten. Zum anderen bietet der KPI Informationen für Investoren. Bei einer Unternehmensbewertung kann neben dem RoE (Return on Equity) der KPI RoC in Betracht gezogen werden. Bei gleichem RoE für zwei Unternehmensgruppen investiert ein finanzrationaler Investor sein Kapital in das Unternehmen mit einem höherem RoC, da dieses einen geringen Risikokapitalbedarf für den erzielten Ertrag hat. Bislang findet der RoC nur in den Unternehmen intern Anwendung und wird von keinem uns bekannten Unternehmen in den Veröffentlichungen zu IFRS systematisch dargestellt, sodass insbesondere die Anwendung durch Investoren jenseits der obersten Gruppenebene bislang noch nicht möglich ist.
Analog zu den am Markt beobachteten verschiedenen Ansätzen zur Berechnung des KPI RoE sind für den RoC ebenfalls variierende Ansätze möglich, wodurch die Vergleichbarkeit der KPI zwischen verschiedenen Versicherungsgruppen bei einer Veröffentlichung erschwert wird. Die unterschiedlichen Berechnungsansätze des RoC werden in den nachfolgenden Absätzen weiter analysiert.
Wesentliche Unterschiede SolvencyII und IFRS 17
a. Beschreibung von Solvency II, insbesondere des SCR
Solvency II ist ein zum 1. Januar 2016 in Kraft getretener, von der Europäischen Union eingeführter, regulatorischer Rahmen für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, um die finanzielle Stabilität und Solvenz der Unternehmen sicherzustellen. Die drei Säulen des Solvency-II-Aufsichtsregimes beinhalten Vorgaben zur Solvenzquote, zu Governance und Risikomanagement und zur Berichterstattung gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit.
Säule 1 umfasst die „Quantitativen Anforderungen“. Dies beinhaltet insbesondere die Anforderungen zur Berechnung des Solvenzkapitals (SCR) sowie die Bewertungsstandards für Vermögenswerte und Verbindlichkeiten. Säule 2 beschreibt die „Aufsichtliche Überprüfung“, die sowohl die Bedeutung eines effektiven Risikomanagements, interner Kontrollen zur Begrenzung von Risiken und einer guten
Unternehmensführung im Versicherungsunternehmen sowie den Nachweis gegenüber den Aufsichtsbehörden über die Überprüfung und Bewertung der Risikobewertung im Unternehmen umfasst. Die dritte Säule zur „Offenlegungspflicht“ regelt die regelmäßige und umfassende Offenlegung gegenüber Stakeholdern, einschließlich Versicherungsnehmern, Investoren und Aufsichtsbehörden.
Die in Säule 1 definierten Risikokapitalanforderungen definieren das vom Versicherungsunternehmen vorzuhaltende Kapital, um die Verluste im nächsten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 % abdecken zu können. Mögliche Verluste können durch das versicherungstechnische Risiko, das Marktrisiko sowie durch operationelle Risiken entstehen. Zur Aufstellung der Solvenzbilanz als Basis zur
Ableitung der vorhandenen Eigenmittel und auch bei der Berechnung des 99,5%-Konfidenzlevels der Risikokapitalanforderungen wird eine marktkonsistente Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Versicherungsunternehmens angenommen. Die Risikomessung erfolgt mittels der Solvency-II-Standardformel oder eines von der Aufsicht zertifizierten internen Modells.
b. Beschreibung von IFRS 17 und insbesondere des Jahresüberschusses
Mit dem 1. Januar 2023 wurde der internationale Rechnungslegungsstandard IFRS 17 auch am deutschen Markt für kapitalmarktorientierte Konzerne rechtsverbindlich. Die Ablösung von IFRS 4 und Einführung von IFRS 17 hat zum Zweck, eine bessere internationale Vergleichbarkeit von Versicherungsunternehmen durch einheitliche Anforderungen an die Bewertungsmethodik und an eine konsistente Finanzberichterstattung zu ermöglichen.
Der IFRS 17 (in Verbindung mit den anderen IFRS-Standards) regelt die Darstellung der Versicherungsverträge in der Bilanz sowie den Ausweis der Ergebnisse in der Gewinn- und Verlustrechnung. Um den Wert eines Versicherungsvertrags zu bestimmen, wird vom International Accounting Standards Board (IASB) ein neues konzeptionelles Bewertungsmodell, das sogenannte „General Measurement Model (GMM)“ für das nicht direkt überschussberechtige Geschäft eingeführt. Dabei wird die Bewertung des Versicherungsvertrags in drei Komponenten unterteilt: (1) den Erwartungswert der zukünftig zu erwartenden Zahlungsströme, (2) die Risikoanpassung, die eine Kompensation für die Übernahme der zukünftigen Risiken aus den Versicherungsverträgen darstellt, und (3) die Vertragliche Servicemarge (VSM oder englisch CSM für Contractual Service Margin), den über die Deckungsperiode des Versicherungsvertrags zu erwartenden Gewinn aus dem Versicherungsvertrag vor Gemeinkosten. Die beiden Komponenten (1) und (2) kann man als risikoadjustierten Erwartungswert zusammenfassen oder sie werden vom IASB auch als Erfüllungsbarwert bezeichnet. Auch das für
direkt überschussberechtigtes Geschäft anzuwendende VFA-Bewertungsmodell (VFA für Variable Fee Approach) enthält diese drei Komponenten, während das vereinfachte PAA-Bewertungsmodell (PAA für Premium Allocation Approach) nur für die Verpflichtung für eingetretene Schäden die separate Ermittlung der beiden Komponenten Erwartungswert und Risikoanpassung fordert und dort keine
VSM vorkommt. Für verlustträchtiges Geschäft ist zudem gemäß IFRS 17 grundsätzlich eine Verlustkomponente ergebniswirksam zu bilden, deren Fortentwicklung ebenfalls den Jahresüberschuss beeinflusst.
Der Nettogewinn in der Gewinn- und Verlustrechnung aus Versicherungsverträgen unter IFRS 17 enthält die beiden Komponenten versicherungstechnisches Dienstleistungsergebnis (ISR für Insurance Service Result) und versicherungstechnisches Finanz- und Aufwandsergebnis (IFIE für Insurance Finance Income or Expense). Auf dem Weg zum IFRS-Jahresüberschuss (net income) sind dann noch Gemeinkosten, Steuern und Minderheitenanteile am Ergebnis abzuziehen. Wesentliche Elemente von IFRS 17 sind im IFRS 17 Glossar dargestellt.
IFRS 17 - Glossar

c. Wesentliche Bewertungsunterschiede IFRS 17 und SII
Die beiden Bewertungsstandards IFRS 17 und Solvency II erfordern eine Bewertung des Versicherungsgeschäftes unter aktuellen Annahmen. Dies erfolgt durch eine mehrjährige Projektion des Versicherungsbestandes in die Zukunft unter der Annahme von zugrunde liegenden Rechnungsgrundlagen nach bester Schätzung (2. Ordnung) und der Aufteilung des Bestands in homogene Risikogruppen bzw. Portfolios.
Wesentliche Bewertungsunterschiede der beiden Ansätze liegen im Geltungsbereich der unter IFRS 17 und Solvency II betrachteten Produkte eines Versicherungsunternehmens. Unter IFRS 17 werden nicht alle rechtlichen Versicherungsverträge des Unternehmens bewertet, sondern nur die, die unter die Definition eines Versicherungsvertrags nach IFRS 17 fallen, also insbesondere ein ausreichendes Versicherungsrisiko oder eine ermessensabhängige Überschussbeteiligung enthalten. Kann eine eingebettete Kapitalanlagekomponente vom Hauptvertrag separiert werden, muss diese jedoch unter IFRS 9 bewertet werden. Auch die Anwendung von IFRS 15 (Umsatzrealisierung) auf rechtliche Versicherungsverträge oder Teile davon kommt für die IFRS-Rechnungslegung in der Praxis vor. Solvency II dagegen berücksichtigt alle abgeschlossenen rechtlichen Versicherungsverträge des Versicherungsunternehmens und sieht keine Klassifizierung in Kapitalanlageprodukte und Versicherungsprodukte vor.
Für die Diskontierungsmethodik ergeben sich in den beiden Metriken ebenfalls Bewertungsdifferenzen. Unter dem Solvency-II-Regime wird basierend auf der von EIOPA veröffentlichen risikofreien Zinskurve eine Diskontkurve ermittelt, die durch eine Volatilitätsanpassung adjustiert werden kann. Für IFRS 17 kann sowohl der Bottom-up-Ansatz basierend auf einer risikofreien Zinskurve und einer unternehmensinternen Anpassung für die Illiquiditätsprämie für die Bestimmung der Diskontierungskurve Verwendung finden als auch ein Top-down-Ansatz mit einer aus Referenzkapitalanlagen abgeleiteten und an die Laufzeit der Versicherungsverträge angepassten Renditekurve.
Ein weiterer möglicher Unterschied sind Vertragsgrenzen, also welche Zahlungsströme bei einem Versicherungsvertrag in IFRS 17 bzw. in Solvency II zu berücksichtigen sind. Als wichtigsten Unterschied möchten wir hier hervorheben, dass in Solvency II ein Vollkostenansatz (inkl. Kapitalanlageverwaltungskosten) herangezogen wird, während bei IFRS 17 nur die dem Versicherungsvertrag oder dem Portfolio des Versicherungsvertrags systematisch zuordenbaren Kosten, also keine Gemeinkosten zu berücksichtigen sind.Für die abgegebene Rückversicherung ist unter IFRS 17 eine vollständige Bewertung der gehaltenen Rückversicherungsverträge notwendig. Hierfür werden die Zahlungsströme der Rückversicherungsverträge unter der Annahme von Rechnungsgrundlagen bester Schätzung in die Zukunft projiziert. Unter Solvency II dagegen ist keine explizite Abbildung der Zahlungsströme von gehaltenen Rückversicherungsverträgen gefordert und es erfolgt häufig ein proportionaler Ansatz abhängig von der Abbildung der Erstversicherungsverträge.
Weitere Differenzen liegen in der erstmaligen Berücksichtigung eines Vertrags in der Bilanz (Erstansatz) sowie in der Berechnung der Risikoadjustierung, wo unter IFRS 17 nur vertragsabhängige Risiken eingehen und somit operationelle Risiken sowie das Kontrahentenausfallrisiko keine Berücksichtigung finden. Außerdem wird die Risikomarge in Solvency II nach abgegebener Rückversicherung ermittelt. Trotz der Aufzählung all dieser Unterschiede im Detail möchten wir betonen, dass sich die beiden Regelwerke Solvency II und IFRS 17 für die Bilanzierung von Versicherungsverträgen zum Beispiel im Vergleich zum HGB relativ ähnlich sind und die Relevanz der Unterschiede von der konkreten Ausgestaltung der Versicherungsverträge abhängt
Analyse des KPI RoC
a. Kombinationen von Zähler und Nenner zur Berechnung des RoC
Die Definition des RoC ist nicht eindeutig festgelegt und für die Quotienten Ertrag bzw. Gewinn im Zähler und Risikokapital im Nenner sind grundsätzlich viele Kombinationen denkbar. In der Tabelle 1 haben wir in den Spalten einige mögliche Kombinationen dargestellt und möchten diese im Folgenden kurz diskutieren. Dabei legen wir in den Zeilen der Tabelle die Bewertungskriterien GAAP-Effizienz (GAAP: Generally Accepted Accounting Principle), also die Wiederverwendbarkeit vorhandener GAAPs, den Fokus auf IFRS als weltweit konsistenten Standard für die Bewertung von Versicherungsverträgen, die Konsistenz von Rendite und Risiko, und ob es sich um ein geprüftes GAAP handelt, zugrunde. Mit den Kreisen wird in der Tabelle die Erfüllbarkeit der einzelnen Kriterien für den in der jeweiligen Spalte definierten RoC gemessen.
Tabelle 1

Die Kombination (selbst definierter) ökonomischer Gewinn und (selbst definiertes) ökonomisches Risikokapital bietet eine maximale Konsistenz von Rendite und Risiko, schneiden aber bei den anderen drei Kriterien schlecht ab. Die Kombination MVBS-Gewinn, also ein Gewinn, abgeleitet aus der Marktwertbilanz von Solvency II, und SCR aus Solvency II, bietet auch eine sehr gute Konsistenz aus Rendite und Risiko. Allerdings ist die GAAP-Effizient nur halb erfüllt, da erst ein MVBS-Gewinn definiert und ermittelt werden muss. Außerdem liegen für so eine Größe keine Prüfungsstandards vor. Darüber hinaus fehlt der Bezug zu IFRS. Die Kombination IFRS-Gewinn zu SCR aus Solvency II bietet eine hohe GAAP-Effizienz, da bereits vorhandene Werte wiederverwendet werden. Zudem liegt ein starker Fokus auf IFRS und wir halten die Konsistenz von Rendite und Risiko zumindest für überwiegend erfüllt. Des Weiteren ist der IFRS-Gewinn Teil des geprüften IFRS-Konzernabschlusses, und in Solvency II wird in Deutschland zumindest die Marktwertbilanz (als Solvabilitätsübersicht) geprüft und über die Risikomarge zumindest auch Teile des SCR. Die letzte der betrachteten Kombinationen aus IFRS-Gewinn und einem (selbst definierten) aus IFRS abgeleiteten SCR hat den stärksten Fokus aller Kombinationen auf IFRS. Allerdings muss das IFRS-SCR neu definiert und ermittelt werden, auch dafür existieren keine Prüfungsstandards. Welche der vier betrachteten Kombinationen als beste betrachtet wird, hängt natürlich davon ab, wie hoch die jeweiligen Kriterien gewichtet werden. Bei gleichmäßiger Gewichtung aller Kriterien liegt aus unserer Sicht die Kombination IFRS-Gewinn und SII-SCR vorne, weswegen wir uns in diesem Artikel darauf konzentrieren.
b. Analyse möglicher Rendite – Variablen
Da beim SCR, dem benötigten Risikokapital in Solvency II, auch zukünftige Gewinne aus Versicherungsverträgen unter Risiko stehen und diese im IFRS-Jahresüberschuss nicht enthalten sind, stellt sich umgehend die Frage, welches der passende IFRS-Gewinn als Renditegröße im RoC ist. In der Tabelle 2 haben wir einige denkbare, aus IFRS abgeleitete Renditegrößen dargestellt und ziehen als Kriterien zur Bewertung die Einfachheit (der Ermittlung und der Nachvollziehbarkeit) und die Betrachtung der vollständigen wirtschaftlichen Aktiv-Passiv-Sicht heran.

Als Ausgangspunkt starten wir beim IFRS-Jahresüberschuss, der ja auch im RoE als Renditegröße im Zähler dient. Sein Vorteil ist die Einfachheit, da es sich um eine bekannte und sehr zentrale Größe im IFRS-Abschluss handelt. Allerdings sind hier zukünftige Gewinne aus Versicherungsverträgen noch nicht enthalten, die ja erst im Laufe der Zeit (während der Deckungsperiode der Versicherungsverträge) über die Amortisation der vertraglichen Servicemarge in der Gewinn- und Verlustrechnung als Gewinn ausgewiesen werden. Außerdem sind Veränderungen der unrealisierten Gewinne und Verluste aus Aktiva (insbesondere Finanzanlagen unter IFRS 9) und Passiva (insbesondere Versicherungsverträge unter IFRS 17), die in IFRS erfolgsneutral im Eigenkapital ausgewiesen werden, nicht enthalten. Möchte man diese in IFRS erfolgsneutralen Veränderungen als Renditegröße berücksichtigen, muss man das sogenannte Other Comprehensive Income (OCI) zum IFRS Jahresüberschuss hinzuaddieren, was als Ergebnis das IFRS-Gesamtergebnis (Comprehensive Income (CI)) ergibt. Dieses ist immer noch als relativ einfach, d. h. ohne weiteren Zusatzaufwand zu ermitteln, zu betrachten, erfasst aber wichtige Elemente einer vollständigen Aktiv-Passiv-Sicht nicht: Denn die Veränderungen der zukünftigen Gewinne aus Versicherungsverträgen sind in dieser
Renditegröße noch nicht enthalten. Möchte man auch die Veränderung der zukünftigen Gewinne aus Versicherungsverträgen in der Renditegröße berücksichtigen und dabei die Veränderungen der zukünftigen Aufwände aus abgegebener Rückversicherung gegenrechnen, erhält man eine dritte mögliche Renditegröße. Diese enthält schon wesentliche Elemente der vollständigen Aktiv-Passiv-Sicht, ist allerdings auch mit deutlich mehr Aufwand zu ermitteln und damit nicht mehr so einfach. Für eine weitere Vervollständigung der Aktiv-Passiv-Sicht sollten dann in einem letzten Schritt noch die Anteile in der VSM zur Deckung zukünftiger Gemeinkosten, die sich also unter dem Strich nicht als IFRS-Jahresüberschuss realisieren werden, abgezogen werden, und es sollten Anpassungen für unterschiedliche Vertragsgrenzen zwischen Brutto-Geschäft und in Rückdeckung gegebenes Geschäft vorgenommen werden. Spiegelbildlich verringert sich mit der größeren Genauigkeit bzgl. Aktiv-Passiv-Sicht allerdings die Einfachheit dieser Renditegröße. Neben diesen vier vorgestellten Renditegrößen sind auch noch weitere denkbar, z. B. IFRS-Jahresüberschuss zzgl. Veränderung der VSM oder auch die Berücksichtigung der Veränderung der Risikoanpassung.
Welche der vier vorgestellten oder weiteren denkbaren Renditegrößen aus IFRS sich am besten als Zähler im RoC-Quotienten und damit für die risiko- und wertorientierte Steuerung einer Versicherungsgruppe eignet, hängt von der Präferenz der jeweiligen Unternehmensleitung und der individuellen Unternehmenskultur ab. Der Vollständigkeit halber erwähnen möchten wir, dass eine konsistente Vor- oder Nach-Steuer-Betrachtung der Renditegrößen (und auch der Risikokapitalgrößen) vorgenommen werden sollte.
Anwendung in der Konzernstruktur
a. Steuerungsebenen im Konzern
Für eine erfolgreiche Steuerung reicht es in aller Regel nicht aus, wenn sich ein KPI nur gut auf der obersten Gruppenebene definieren und steuern lässt. Vielmehr ist dazu eine gute und nachvollziehbare Kaskadierung von Steuerungszielen auf weitere Steuerungsebenen unterhalb der obersten Gruppenebene notwendig. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Steuerungsebenen in Versicherungsgruppen vor (siehe Abbildung 1). Eine erste Unterteilung der Gruppe erfolgt anhand der Segmentierung nach IFRS 8. Dies kann zum Beispiel eine Unterteilung nach Regionen, nach Schaden-Unfall- und Leben-Krankenversicherung oder nach Industrie- und Privatgeschäft sein. Ein Segment besteht in der Regel aus mehreren individuellen Versicherungsunternehmen (Rechtsträger).
In einem einzelnen Versicherungsunternehmen kommen in aller Regel verschiedene Lines-of-Business (LoB) vor, die separat auf Vorstands- oder Bereichsebene gesteuert werden. Beispiele hierfür sind verschiedene Schaden-Unfall- Sparten bei einem Schaden-Unfall-Versicherer oder überschussberechtigtes und nicht überschussberechtigtes Geschäft bei einem Lebensversicherer. Bei Krankenversicherern erfolgt häufig eine Aufteilung nach Geschäft mit Deckungsrückstellung (SLT für similar-to-life) und ohne Deckungsrückstellung (NSLT für non-similar-to-life). Abhängig von der individuellen Managementstruktur im Versicherungsunternehmen können dann auf der Aktivseite ein oder mehrere getrennt gemanagte Blöcke von Kapitalanlagen hinzukommen, für die häufig ein eigenes Ressort zuständig ist. In der Unternehmenspraxis sind natürlich viele weitere Steuerungsebenen z. B. nach Vertriebswegen oder nach Privat- und Firmenkunden denkbar.
b. Granularität/Verfügbarkeit auf den Steuerungsebenen
Wie im vorherigen Abschnitt diskutiert, hängt die praktische Umsetzbarkeit des RoC-Steuerungskonzepts in einer Versicherungsgruppe davon ab, dass der jeweilige RoCKPI sich schnell und robust genug für die jeweilige, separat gesteuerte Unternehmenseinheit planen und steuern und vor allem anderen erst einmal ermitteln lässt. Im Folgenden gehen wir anhand einiger Beispiele der Frage nach, wie gut und auf welcher Ebene sich Rendite und Risikokapital als Zähler und Nenner des RoC-Quotienten ermitteln lassen.
Abb. 1

i) Kapitalanlagenallokation
In der Unternehmenspraxis gibt es eine Vielfalt von Konstellationen, in welcher Granularität Kapitalanlagen in Bezug auf versicherungstechnische Rückstellungen gemanagt werden. Der häufigste Fall ist sicherlich, dass auf der Aktivseite ein einziger Block an Kapitalanlagen gemeinsam gemanagt wird, dem auf der Passivseite mehrere verschiedene Blöcke von versicherungstechnischem Geschäft gegenüberstehen. Das können bei einem Schaden-Unfall-Versicherer verschiedene Geschäftsbereiche sein, die auch verschiedenen IFRS-Portfolios zugeordnet sind. Die Ertragskomponente innerhalb des versicherungstechnischen Finanz- und Aufwandsergebnisses (IFIE) liegt also nur auf der Ebene der gemeinsam gemanagten Kapitalanlagen vor, während der versicherungstechnische Verzinsungsaufwand in der Regel je Portfolio vorliegen sollte. Sofern das Unternehmen also das IFIE je Portfolio steuern und in eine RoC-Kennzahl je Portfolio einbeziehen möchte, muss es die Kapitalanlagenerträge auf die Portfolios allokieren. Diese Allokation ist ebenso erforderlich, wenn bei einem Lebensversicherer neben dem überschussberechtigten Geschäft, das in der Regel im VFA-Bewertungsmodell bewertet wird, auch noch das nicht überschussberechtigte Geschäft dem einen Block an Kapitalanlagen gegenübersteht.
ii) Rückversicherungsallokation
Eine weitere in der Unternehmenspraxis häufig vorkommende Konstellation ist, dass eine Versicherungsgruppe wichtige Elemente ihrer abgegebenen Rückversicherung nicht je Brutto-Portfolio kontrahiert, sondern über Brutto-Portfolios hinweg. Dann kann die Versicherungsgruppe bei Beibehalten dieser Rückversicherungsstruktur entweder eine Allokation des Ergebnisses aus abgegebener Rückversicherung auf die Brutto-Portfolios vornehmen, um nach dem versicherungstechnischen Dienstleistungsergebnis (ISR) auf Ebene des Brutto-Portfolios zu steuern. Oder es steuert zum einen nur nach dem Brutto-ISR je Brutto-Portfolio vor abgegebener Rückversicherung und zum anderen nach dem ISR (nach abgegebener Rückversicherung) nur auf der oberen Ebene, auf der die abgegebene Rückversicherung vorliegt. Außerdem stellen sich weitere Fragen, zum Beispiel, ob den einzelnen Unternehmenseinheiten, deren Risiken in die übergreifende externe Rückversicherung eingehen, ein anteiliger Rückversicherungspreis aus diesem zentralen Rückversicherungseinkauf zugeordnet wird oder ein fiktiver (in der Regel teurerer) Rückversicherungspreis als einzelner Rückdeckungseinkäufer.
iii)Allokation des Risikokapitals
Einer der Grundpfeiler des Versicherungsgeschäfts ist die Risikodiversifikation, was vereinfacht gesagt bedeutet, dass das Gesamtrisiko kleiner ist als die Summe der Einzelrisiken. Wenn man also beim RoC-KPI auf oberster Gruppenebene startet, geht dort im Nenner das vollständig diversifizierte Gruppen-SCR ein. Dieses ist in aller Regel erheblich kleiner als die Summe der Solo-SCR der einzelnen Versicherungsunternehmen in der Gruppe. Gleiches gilt für die Einzel-SCR je Risikokategorie (z. B. Kapitalanlagen und versicherungstechnische Zeichnungsrisiken)
und analog für die darunter liegenden Teil-SCRs für zum Beispiel Aktien, Zins, Spreads etc. bzw. für versicherungstechnische Zeichnungsrisiken u. a. in Leben-, Kranken- und Schaden-Unfall. Welches SCR ordnet man nun den Unternehmensebenen zu, auf denen man unterhalb der obersten Gruppenebene steuern möchte, zum Beispiel auf Ebene von IFRS-Segmenten oder Einzelversicherungsunternehmen?
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sich mit der Allokation von Risikokapital ein ganzer Forschungszweig befasst, siehe zum Beispiel die Veröffentlichung1 von Guo et al. und die darin enthaltenen Literaturzitate. Das Ergebnis daraus ist, dass es nicht die eine perfekte Methode zur Allokation des Risikokapitals gibt, sondern je nach Kriterium viele verschiedene Methoden infrage kommen.
Für unseren einführenden Zweck hier möchten wir es bei der Beobachtung belassen, dass sich im Rahmen der Standardformel auf Gruppenebene eine proportionale Verteilung der Diversifikationseffekte auf die Einzelversicherungsunternehmen anhand von deren Solo-SCRs eingebürgert hat, was wir für Versicherungsgruppen ohne zertifiziertes internes Modell für einen guten Startpunkt halten. Versicherungsgruppen mit zertifiziertem internem Modell wiederum werden sich diese Frage im Kontext des Use Test sicher schon genauer angeschaut und zufriedenstellend beantwortet haben.
Tabelle 3

Kapitalmanagement in Gruppen
a. Anwendungskriterien für den RoC
Was fängt man nun mit dem oben definierten RoC-KPI, also IFRS-Gewinn je SCR aus Solvency II, an? Stellen wir uns zum Beispiel vor, dass sich eine Versicherungsgruppe entschieden hat, den RoC je Einzelversicherungsunternehmen zu ermitteln und in den Planungs- und Steuerungsprozess sowie die Scorecard des Vorstands jedes Einzelversicherungsunternehmens einzubeziehen. Was fängt es mit
diesen Informationen an? Was ist ein guter Wert eines RoC und was ist ein nicht so guter Wert? Ein offensichtlicher Anwendungsfall ist es, die RoC-Werte der Einzelversicherungsunternehmen miteinander zu vergleichen: Je größer der RoC-Wert, desto besser. Wenn Risikokapital in der Gruppe knapp ist, sollte die Gruppe das fungible Risikokapital dort zur Verfügung stellen, wo es den höchsten (zusätzlichen) RoC-Wert generiert. Sofern die Versicherungsgruppe externes Risikokapital als Fremdkapital (zum Beispiel in Form von Nachrangdarlehen) aufgenommen hat, sollte das in der Gruppe eingesetzte Risikokapital zumindest diesen Zins auf das Fremdkapital verdienen, d. h., das RoC sollte mindestens über dem Zinssatz des Fremdkapitals liegen.
b. Erweiterung auf zusätzliche Kapitalbegriffe
In diesem Abschnitt möchten wir mögliche Verallgemeinerungen des bisherigen RoC-Ansatzes IFRS-Gewinn zu (notwendigem) SII-Risikokapital vorstellen (siehe Tabelle 3). Ein wichtiger Kritikpunkt an der Verwendung des (einfachen) SII-Risikokapitals ist, dass Versicherungsgruppen in der Realität nicht nur Solvenzquoten von 100 % anstreben, sondern in der Regel Mindest-Solvenzquoten oder Ziel-
Solvenzquoten veröffentlichen und ihr Kapital und auch ihre Dividendenpolitik danach steuern. Dieser Aspekt lässt sich in unserem Konzept einfach dadurch berücksichtigen, dass im Nenner nicht das SII-SCR, sondern das SII-SCR mal der Mindest-Zielquote (von zum Beispiel 200 %) verwendet wird.
Ein weiterer wichtiger Einwand ist, dass ein so definierter RoC-KPI zwar auf das notwendige Risikokapital abzielt, aber eventuell vorhandenes Überschusskapital als Differenz zwischen vorhandenem Risikokapital (SII-Eigenmitteln) und notwendigem Risikokapital außer Acht lässt. Aus Sicht einer Versicherungsgruppe ist es für ein effizientes Kapitalmanagement und den langfristig nachhaltigen Unternehmenserfolg aber wichtig, vorhandenes Risikokapital möglichst dort einzusetzen, wo es überhaupt eine Rendite und dann im zweiten Schritt eine möglichst gute Rendite erzielt. Wenn man den Aspekt Überschusskapital im Kapitalmanagement mit berücksichtigen und den RoC-KPI entsprechend erweitern möchte, scheint der nächste naheliegende Schritt zu sein, anstelle des Mindest-Ziel-SCR im Nenner die vorhandenen SII-Eigenmittel anzusetzen. An dieser Stelle sind allerdings auch mögliche Verzweigungen und Einschränkungen möglich, zum Beispiel könnte man das Überschusskapital nur bis zur Ebene des Einzelversicherungsunternehmens berücksichtigen, aber nicht bei der Planung und Steuerung darunter, da die Allokation von Überschusskapital auf Geschäftsbereiche unterhalb des Einzelunternehmens schwierig bis willkürlich sein könnte. Ein anderer möglicher Ansatz ist es, anstelle eines RoCQuotienten auf eine Value-Added-Metrik überzugehen, also den absoluten Wertbeitrag als Differenz aus der absoluten IFRS-Rendite und den absoluten Kapitalkosten zu ermitteln, wobei die absoluten Kapitalkosten ermittelt werden als Summe aus einer Kapitalgröße mal einem Kapitalkostensatz – mit unterschiedlichen Werten für den Kapitalkostensatz in Abhängigkeit davon, ob das eingesetzte Kapital unter Risiko steht oder nicht. Bei diesem Ansatz sind dann auch weitere Modifikationen denkbar in Abhängigkeit davon, welcher Stakeholder (Aktionär versus Versicherungsnehmer) die jeweiligen Komponenten der SII-Eigenmittel bereitgestellt hat.
Literaturverzeichnis

Zusammenfassung
In diesem Einführungsartikel haben wir einen Einstieg in die komplexe und spannende Thematik der risiko- und wertorientierten Steuerung von Versicherungsgruppen gegeben, die nun nach der Einführung des IFRS 17 auf einer neuen Grundlage steht. Durch die Wiederverwendung von bereits vorliegenden Ergebnissen aus Solvency II und IFRS lässt sich mit dem RoC ein sinnvoller KPI definieren, dessen konkrete Festlegung allerdings von den unternehmensindividuellen Präferenzen abhängt. Allerdings sollte man bei der praktischen Anwendung die Unterschiede zwischen Solvency II und IFRS im Auge behalten, um Fehlanreize und Fehlsteuerung zu vermeiden. Wir haben die Möglichkeiten und Grenzen diskutiert, wie sich dieser KPI auf verschiedenen Steuerungsebenen einer Versicherungsgruppe ermitteln und damit zur Steuerung anwenden lässt. Im letzten Kapitel haben wir die Verbindung zum Kapitalmanagement in Versicherungsgruppen hergestellt und spannende aktuelle Fragestellungen, die für die praktische Umsetzung höchst relevant sind, zumindest kurz angerissen. Für eine etwas ausführlichere Darstellung möchten wir auf den englischsprachigen Ergebnisbericht2 der DAV verweisen.
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