Das Gesundheitssystem steht an einem Scheideweg
Die Zahlen, die aus dem Markt der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung vorliegen, sind alarmierend: 2024 bezifferte sich das Defizit in der GKV auf rund sechs Milliarden Euro. Blickt man auf 30 Jahre staatliche Pflegeversicherung zurück, so stellte die Unterfinanzierung eher einen Dauerzustand dar als die Ausnahme. Beides spiegelt sich in den Beiträgen wider. Während die gesetzlichen Krankenkassen zum Jahreswechsel beim Zusatzbeitrag aufgeschlagen haben, stieg der reguläre Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,2 auf 3,6 Prozent bzw. 4,2 Prozent bei Kinderlosen. Das ist angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und unserer Demografie nur der Anfang. Weitere Belastungen sind zu erwarten.
Unterschied von GKV und PKV
Die GKV basiert auf einem Umlageverfahren, was sie besonders anfällig für demografische und wirtschaftliche Veränderungen macht. Ab 2030 droht aufgrund der Pensionierung der Babyboomer-Generation eine noch weiter
zunehmende Finanzierungslücke.
Im Gegensatz dazu kalkuliert die PKV ihre Prämien kapitalgedeckt mit Alterungsrückstellungen und ist damit demografisch widerstandsfähig. Aber auch hier gibt es immer wieder Kritik aufgrund von für die Versicherten kaum
nachvollziehbaren Beitragserhöhungen, die wesentlich mit den aktuellen Regeln zur Prämienberechnung zusammenhängen
Steigende Kosten und demografische Herausforderungen
Die medizinische Inflation und damit einhergehend die steigenden Gesundheitskosten belasten, wie oben schon angedeutet, die Finanzierung der Gesundheitsversorgung im gesetzlichen wie auch privaten Versicherungssystem.
Im umlagefinanzierten System der GKV kommt die demografische Entwicklung als weiterer Kostentreiber hinzu. So stiegen im ersten Halbjahr 2024 die Leistungsausgaben in der GKV um 7,6 Prozent insbesondere getrieben durch
Krankenhausbehandlungen und Entwicklungen im Arzneimittelbereich. Im Jahr 2025 sehen wir daher sowohl in der PKV als auch der GKV deutliche Beitragserhöhungen.
Zudem führt die alternde Bevölkerung zu einer Zunahme der Pflegebedürftigkeit, was die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung zusätzlich belastet. Prognosen des Wissenschaftlichen Instituts der PKV zufolge wird sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen von 4,9 Millionen im Jahr 2022 über 5,75 Millionen im Jahr 2030 auf 7,25 Millionen im Jahr 2050 erhöhen. Tatsächlich vermeldete das Statistische Bundesamt am 18. Dezember 2024, dass
bereits Ende 2023 die 5,7 Millionen Pflegebedürftigen erreicht waren. Das umlagefinanzierte System der sozialen Pflegeversicherung arbeitet bereits heute defizitär, was die Nachhaltigkeit dieses Modells infrage stellt.
Vorschläge zur Reform in allen Bereichen#
Im PKV-Bereich sollten sich die Reformen aus aktuarieller Sicht an zwei Zielen orientieren: die Beitragsentwicklung vor allem im Alter stabilisieren und Alternativen für verschiedene Lebenslagen bieten. Wir haben als Vereinigung hierfür eine Reihe von Vorschlägen ausgearbeitet, für die jeweils nur geringfügige Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig sind. Herzstück ist eine Neugestaltung der sogenannten Auslösenden Faktoren. Derzeit erlaubt das Versicherungsaufsichtsgesetz eine Überprüfung und ggf. Anpassung der Versicherungsbeiträge nur, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. Dies führt dazu, dass Beitragsanpassungen häufig
erst spät durchgeführt werden dürfen und dadurch entsprechend hoch ausfallen. Ein durchgängiger Schwellenwert von maximal fünf Prozent und die Einbeziehung des Rechnungszinses als Auslösender Faktor würden die Beitragsentwicklung deutlich verstetigen. Daneben spricht sich die DAV dafür aus, den zehnprozentigen Zuschlag, den die Versicherten von Alter 21 bis 60 entrichten, zu erhöhen und/oder länger zu erheben. Dies würde zu einer
erheblichen Beitragsentlastung im Alter führen, wie dies unsere Prognosen zeigen. Darüber hinaus sehen wir Änderungsbedarf am Standardtarif, der seit 30 Jahren einen günstigen Versicherungsschutz auf dem Leistungsniveau der GKV bietet. Dieser steht nach den aktuellen Regelungen aber nur den Versicherten zur Verfügung, die sich vor dem 1. Januar 2009 privat versichert haben. Dies ist eine nicht nachvollziehbare Diskriminierung von großen Risikogemeinschaften. Denn jeder kann vorübergehend oder dauerhaft in Zahlungsschwierigkeiten geraten und einen preiswerteren Tarif benötigen. Es handelt sich also auch um eine sozialpolitisch vernünftige Maßnahme.
Bei der GKV wird in der Folge der demografischen Entwicklung der Steuerzuschuss immer weiter steigen müssen, um den Beitragssatz einigermaßen stabil zu halten. Angesichts der angespannten Haushaltslage scheint das keine
realistische Option zu sein. Das strukturelle Defizit der GKV wird durch die leistungsausweitende Gesetzgebung der zurückliegenden Jahre und die demografische Entwicklung dramatisch anwachsen. Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit kann man vor einer Verharmlosung beständig steigender Steuerzuschüsse schlichtweg nur warnen. Sie erwecken die Illusion eines sauber finanzierten Kassensystems, obwohl sie nur eine Vorfinanzierung zulasten künftiger Generationen darstellen. Es bedarf eindeutig einer Reform, die die Ausgabenseite und die Effizienz des Systems in Augenschein nimmt und an dieser Stellschraube dreht.
Erschwerend kommt hinzu, dass diese Finanzierungskosten-Problematik des Umlagesystems auch die soziale Pflegeversicherung in den 2030er-Jahren mit voller Kraft treffen wird. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist in ihren
Ursprüngen bis heute als Teilkaskoversicherung angelegt. Sukzessive Leistungsausweitungen überfordern die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung. Stattdessen sollte unserer Überzeugung nach mehr Vorsorge durch die
nachhaltig finanzierte private Pflegeversicherung erfolgen. Die private Pflegeversicherung hat mit ihrem Kapitaldeckungsverfahren die demografische Entwicklung nämlich in ihren Beiträgen einkalkuliert. Sie schafft damit eine
Art Ausgleichsmechanismus zur reinen Umlage-Systematik, die für sich genommen nicht das gewünschte Level an Versorgung tragen kann. Mehr Kapitaldeckung führt zudem zu mehr Generationengerechtigkeit. Schon heute existiert eine Vielzahl von kapitalgedeckten ergänzenden privaten Pflegeprodukten, die bedarfsgerecht erweitert werden könnten.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, um die strukturellen Schwächen des deutschen Gesundheitssystems zu beheben. Dieses steht aktuell kurz vor Renteneintritt der Babyboomer-Generation an einem Scheideweg.