Das European Actuarial Journal – von den Blättern der DGVM zum internationalen Journal
European Actuarial Journal

Das European Actuarial Journal veröffentlicht Forschungsartikel sowie verschiedene Beiträge, die sich mit dem wechselseitigen Transfer zwischen Forschung und praktischen Anwendungen in der Versicherungsmathematik befassen, d.h. mit der Untersuchung, Modellierung und Verwaltung von Versicherungen und damit verbundenen finanziellen Risiken, für die stochastische Modelle und statistische Methoden zur Verfügung stehen. Die Themen umfassen die klassische Versicherungsmathematik wie Lebens- und Nichtlebensversicherungen, Pensionsfonds, Rückversicherungen, aber auch neuere Bereiche wie Risikomanagement, Asset-Liability-Management, Solvabilität, Katastrophenmodellierung, systematische Änderungen von Risikoparametern, Langlebigkeit usw.
Die DGVFM und die EAJ Association sind stets bemüht, das Journal weiterzuentwickeln und den Wünschen der Mitglieder nachzukommen. Zum einen wird das Journal daher künftig dreimal und nicht mehr nur halbjährlich erscheinen (mehr hierzu im Interview mit Prof. Dr. Hansjörg Albrecher). Zum anderen wird der Bezug des EAJ in Deutschland seit der Ausgabe 14.2 digital erfolgen, insofern Sie sich nicht im DAV-Mitgliederbereich der Webseite für die Fortsetzung des Printbezugs registriert haben. Diese Umstellung erfolgte auf vielfachen Wunsch der Mitglieder von DAV und DGVFM. Die Geschichte dieser Publikation reicht bereits weit zurück. Nach der Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik“ im Jahr 1948 in Rothenburg ob der Tauber, erschienen im Jahr 1951 erstmalig die sogenannten „Blätter der DGVM“ (das „F“, die Finanzmathematik wurde erst später zum Namen hinzugefügt) als Nachfolgepublikation der „Blätter für Versicherungs-Mathematik und verwandte Gebiete“. Die Blätter der DGVM waren unter der Schriftleitung von Prof. Dr. Neuburger (1973–2002) über viele Jahre das maßgebliche Veröffentlichungsorgan für alle Mitglieder von DAV und DGV(F)M. In den Blättern erschienen neben Artikeln aus der Praxis und wissenschaftlichen Beiträgen auch Handreichungen für die aktuarielle Arbeit, aktuelle Fachgrundsätze, die neuesten Sterbetafeln und teils auch Protokolle. Die Blätter waren somit insbesondere zu Zeiten vor Nutzung des Internets die zentrale Grundlage für deutsche Aktuare und Aktuarinnen.
Eine entscheidende Veränderung fand im Jahr 2010 statt, als die Blätter der DGVFM in das damals neugegründete European Actuarial Journal eingegliedert wurden. Seit der Gründung der gedruckten Blätter hatten sich längst weitere Medien ergeben, die für praktische Fragestellungen im Alltag der Aktuare und Aktuarinnen größere Relevanz bekommen und auch schnelleren Zugang zu den benötigten Informationen ermöglicht haben. Darüber hinaus waren in den damaligen Blättern zwar durchaus auch wissenschaftliche Beiträge enthalten, aber für eine wissenschaftliche Zeitschrift im heutigen Sinne fehlten noch die Ressourcen. Ferner wurden in Deutschland immer häufiger versicherungs-mathematische Lehrstühle gestrichen, sodass man schnell die Notwendigkeit verstand, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Rahmen eines internationalen, „gerateten“ Journals eine Plattform zu geben. Um dies zu erreichen war zum einen der Wechsel zu einem internationalen Verlag wie Springer Nature entscheidend, um ein Rating für das Journal zu erhalten. Zum anderen war man auf der Suche nach Mitherausgebern, um die Publikation zu stärken. Auch wenn sich anfangs die Suche nach europäischen Partnern eher mühsam gestaltete, ist es dem engagierten Einsatz der damaligen Herausgeber Prof. Dr. Christian Hipp und dem derzeitigen Editor-in-Chief Prof. Dr. Hansjörg Albrecher zu verdanken, dass letztendlich entsprechende Mitstreiter gefunden werden konnten.
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Fußnote
1 https://eaj-association.org/
In der European Actuarial Journal Association sind derzeit neben DAV/DGVFM zwölf weitere europäische Aktuarvereinigungen vertreten. Die Gründungsmitglieder waren hiervon: Institut des Actuaires en Belgique/Instituut van Actuarissen in België (Belgien), Institut des Actuaires (Frankreich), Istituto Italiano degli Attuari (Italien), Aktuarvereinigung Österreichs (Österreich), Polskie Stowarzyszenie Aktuariuszy (Polen), Instituto dos Actuários Portugueses (Portugal), Schweizerische Aktuarvereinigung (Schweiz) und Slovensko aktuarsko društvo (Slowenien). Seither konnten Aktuarvereinigungen aus vier weiteren Ländern gewonnen werden: Eesti Aktuaaride Liit (Estland), Instituto de Actuarios Españoles (Spanien), Aktüerler Derneği (Türkei), Lithuanian Actuarial Society (Litauen).
Springer Nature, "SNInsights powered by Dimensions", Aufruf 16.08.2024

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Die Schaffung einer Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis verstehen die Herausgeber des EAJ als eine Kernaufgabe des Journals. Hierfür wurden über die Jahre zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen, um den Dialog zwischen Wissenschaftlern und Praktikern zu stärken und um insbesondere Praktikern einen vielfältigen Zugang zum wissenschaftlichen Journal zu bieten. Ein wichtiger Schritt hierfür war die Schaffung neuer Artikelformate. Zusätzlich zu den Forschungsarbeiten in Form der „Original Research Papers“, also den klassischen wissenschaftlichen Artikeln,
informieren nun die Überblicksartikel der „Survey Papers“ über neue Gebiete oder über solche, die eine gewisse Relevanz in der Branche erreicht haben. Im Rahmen der „Case Studies“ und „Letters“ kann ein Autor eine Idee vorstellen oder diskutieren, ohne einen vollwertigen Journalartikel verfassen zu müssen. Darüber hinaus kann in den „Practitioner Discussions“ zu einzelnen Artikeln eine kurze Kommentierung aus der Sicht der Praxis eingereicht werden. Über diese vielfältigen Möglichkeiten soll der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis intensiviert werden und zu einem Journal für beide Rezipientengruppen werden. Bei einem Blick auf das European Actuarial Journal ist der jährlich verliehene Best-Paper-Award – der GAUSSPreis nicht zu vergessen. Dieser wurde anlässlich des 50-jährigen Bestehens der damaligen DGVM im Jahre 1998 gemeinsam von der DGVM und der DAV ins Leben gerufen. Ziel des Preises war von Anfang an die Auszeichnung hervorragender wissenschaftlicher Arbeiten, welche die Brücke zwischen wissenschaftlicher Qualität und hoher Praxisrelevanz schlagen. Im Jahre 2010 wurde der GAUSS-Preis nur an unveröffentlichte Arbeiten verliehen, für die dann eine Veröffentlichungspflicht in den Blättern der DGVM bestand. Dies hatte viele Wissenschaftler von der Einreichung ihrer Arbeit abgehalten und wurde als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Deshalb wurde zunächst beschlossen, einen Hauptpreis für allgemeine wissenschaftliche Arbeiten auszuschreiben, die auch in anderen Journalen veröffentlicht werden durften, und eine Veröffentlichung in den Blättern der DGVM nur noch optional anzubieten. Außerdem wurde der vom Hauptpreis unabhängige GAUSS-Nachwuchspreis für bis zu drei herausragende Dissertationen, Diplom- oder Masterarbeiten eingeführt. Für den Hauptpreis wurde es trotz der Veränderung weiterhin als schwierig angesehen, bereits veröffentlichte Arbeiten mit unveröffentlichten Arbeiten zu vergleichen.
Seit 2019 wird deshalb der GAUSS-Hauptpreis in Form eines Best Paper Awards für die jeweils beste Arbeit des entsprechenden Jahres im European Actuarial Journal vergeben. Über die Preisvergabe entscheidet hierbei die GAUSS-Preis-Jury, die sowohl aus Praktikern als auch aus Wissenschaftlern besteht.
Derzeit erhält das Editorial Board des European Actuarial Journals rund 80 Einreichungen pro Jahr, wovon im letzten Jahr 42 % akzeptiert wurden. In diesem Jahr gab es bis Juli bereits 48 Einreichungen. Mittlerweile wird auch ein Impact-Factor (JIF) in Journal Citation Reports (JCR)® für das Journal bestimmt. Dieses Rating stellt eine erneute Steigerung in der internationalen Anerkennung des EAJ dar und war damit auch eine wichtige Weiterentwicklung des Journals, um für internationale Forschende als Veröffentlichungsmedium attraktiv zu sein. Derzeit hat das Journal einen Impact Factor von 0.8 (2023) und einen 5-year Journal Impact Factor von 1.1 (2023). Hinsichtlich der Einreichungen von Beiträgen stammt ein signifikanter Anteil aus den Ländern, in denen das European Actuarial Journal über die entsprechenden EAJ-Partnervereinigungen eine prominente Plattform erhält. Erfreulich ist jedoch auch, dass Forschende aus Ländern wie Kanada oder auch China ein großes Interesse an der Veröffentlichung ihrer Arbeit im EAJ zeigen. Darüber hinaus tragen auch „Special Issues“ – wie beispielsweise zum Thema „Climate Change and Insurance“ im kommenden Jahr – zu einer größeren Reichweite des European Actuarial Journals und zu einer Stärkung des interdisziplinären Profils der Publikation bei.
Als positive Entwicklung der letzten Jahre ist darüber hinaus der Anstieg der Full-Text Article Requests zu bewerten. Während für das Jahr 2020 noch 26.805 Downloads verzeichnet wurden, waren es im Jahr 2023 bereits 114.951 Full-Text Article Requests und damit mehr als viermal so viele wie noch drei Jahre zuvor. Dies zeugt vor allem von der herausragenden Qualität der Autoren und Autorinnen, die im EAJ publizieren, als auch von der hohen Relevanz der von ihnen beforschten Themen.
Diese Erfolge zeugen von einer kontinuierlich steigenden Relevanz des European Actuarial Journals für Wissenschaftler als auch für Praktiker. Die Entscheidung künftig drei Ausgaben pro Jahr zu veröffentlichen, ist daher die logische Konsequenz dieser positiven Entwicklung des Journals. Darüber hinaus soll auch an der kontinuierlichen Steigerung des Impact Factors gearbeitet werden, um somit noch attraktiver für internationale Forschende zu werden und um diesen wiederum eine anerkannte Plattform für ihre Arbeit bieten zu können. Derzeit ist die EAJ Association daher auch in Gesprächen mit zwei weiteren Ländern, da man stets daran interessiert ist, den Kreis an Mitgliedsländern zu erweitern. Diese Bestrebungen stehen stets im Einklang mit dem Ziel des EAJ eine Plattform für den wechselseitigen Wissenstransfer zwischen Forschung und praktischen Anwendungen anzubieten.
Interview mit dem EAJ Editor-in-Chief Prof. Dr. Hansjörg Albrecher (Universität Lausanne)
Was waren die Beweggründe für die Entscheidung künftig nicht nur zwei, sondern drei Ausgaben des EAJ pro Jahr zu veröffentlichen?
In den letzten Jahren haben wir beim Journal einen erfreulichen Anstieg an eingereichten Arbeiten und nach dem Begutachtungsprozess auch an publizierten Arbeiten erlebt, was typischerweise zu einem Umfang von mehr als 400 Seiten pro Ausgabe geführt hat, um zu lange Wartezeiten der Beiträge zu vermeiden. Eine Aufstockung auf drei Ausgaben pro Jahr verbessert diese Situation, und auf diese Weise können wir die Leser nun dreimal im Jahr mit einer neuen Ausgabe «verwöhnen». Auch gibt uns das die Möglichkeit, Spezialausgaben des Journals zu spezifischen Themen (drei solcher sind derzeit in Entstehung) natürlicher im Publikationsprozess zu integrieren.
Weshalb ist das EAJ insbesondere für Praktiker und Praktikerinnen von Interesse? Worin sehen Sie die Relevanz des EAJ für die Praxis?
Als wissenschaftliches Nachfolge-Publikationsorgan von zahlreichen nationalen europäischen Aktuarszeitschriften und als Journal von derzeit 13 europäischen Aktuarvereinigungen hat das EAJ es sich zur Aufgabe gemacht, neben wissenschaftlicher Qualität auch ein besonderes Augenmerk auf Praxis-Bezug und -Relevanz in den Kriterien für eine erfolgreiche Publikation zu legen. In jedem erscheinenden Artikel sollte auch eine «Message» für Praktiker mitzunehmen sein und dies wird im Begutachtungsprozess auch so berücksichtigt. Wir haben darüber hinaus eine neue Artikel-kategorie «Case Study» eingeführt, die für konkrete Situationen oder Datensätze jene Herausforderungen beleuchtet und löst, die sich beim Implementieren von bereits entwickelten Algorithmen und Techniken ergeben, sodass man – je nach Thema – unter Umständen Inspiration für eine Herangehensweise in einer konkreten Situation erhält.
Wie wird der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis weiter intensiviert?
Wir haben neben den klassischen Forschungsartikeln weitere Artikelkategorien eingeführt, die diesem Austausch zuträglich sein sollten. Es gibt Überblicksartikel zum Stand der Dinge bei aktuellen Forschungsthemen, und seit einiger Zeit nun auch «Letters», wo auf wenigen Seiten eine neue Methode, eine neue Idee oder auch das Eröffnen eines neuen Zugangs in knackiger Form präsentiert wird. Manche dieser Letters sind auch von Praktikern verfasst. Und dann gibt es noch die Möglichkeit zu kurzen Diskussionen von Praktikern zu bereits erschienen Artikeln, um ein Feedback zur Herangehensweise des Artikels zu beleuchten, für weitere Aspekte aus der Praxiswelt zu sensibilisieren und insbesondere auch nächste Forschungsrichtungen vorzuschlagen, die dann von den Kollegen aus der Wissenschaft für eine neue Arbeit aufgegriffen werden können. Um diese Plattform für den Wissensaustausch zwischen Theorie und Praxis weiter zu stärken, haben wir vor einiger Zeit auch die EAJ-Zoom-Meetings eingeführt, bei denen online und live nach Erscheinen einer neuen Ausgabe die Autoren ihre Arbeit in fünf Minuten vorstellen, also quasi als Appetitanreger. Diese Veranstaltungen sind in der Regel mit bis zu 100 Teilnehmenden gut besucht. Und die entsprechenden Videos sind danach – quasi als Visio-Abstracts der Artikel – online nachzusehen (die Links zu den Videos findet man auf der Journal-Homepage). Während es für die Verfasser der Artikel eine interessante Herausforderung ist, ihren Beitrag und dessen Bedeutung in so kurzer Zeit zusammenzufassen, gibt es für potenzielle Konsumenten doch einen guten ersten und vielleicht effizienten Eindruck, ob man da nachhaken möchte und sich den Artikel genauer durchliest.
Insgesamt scheint das Konzept dieser Verbindung zwischen Theorie und Praxis gut aufzugehen, denn neben den noch immer zahlreichen gedruckten und verschickten Ausgaben (im hoch vierstelligen Bereich) nehmen wir erfreuliche Zahlen bei den Online-Lese-Downloads der erschienen Artikel wahr – im Jahr 2023 beispielsweise etwa 115.000, was eindrücklich und weit über die Leserschaft aus dem universitären Umfeld hinausgeht. Jeder neue Artikel wird auch auf der LinkedIn-Seite des Journals eingepflegt und steht dort zum One-Click-Download zur Verfügung – inklusive spontaner Reaktionen und Diskussionen zu den Inhalten der Beiträge. Und schließlich gibt es alle zwei Jahre eine EAJ-Konferenz (im September 2024 etwa in Lissabon), bei der sich viele Teilnehmende aus der Wissenschaft und auch aus der Praxis zu den aktuellen Themen austauschen. Im September 2026 wird die EAJ-Konferenz übrigens in Istanbul stattfinden, wenn schon jemand etwas längerfristig planen möchte – eine herzliche Einladung sei hiermit ausgesprochen! Überhaupt freuen wir uns im Editorial Board immer über Rückmeldungen und Anregungen, denn wir sind daran interessiert, das EAJ als wissenschaftliches Organ für die aktuarielle Theorie, aber auch für die aktuarielle Praxis bestmöglich weiterzuentwickeln.
Welche Themen werden das EAJ in den kommenden Jahren prägen?
Von Antoine de Saint-Exupery stammt das Zitat: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ Über die Jahre haben sich die Anforderungen an die versicherungs-mathematische Zunft stetig weiterentwickelt, was es auch – und das sowohl für die Theorie als auch für die Praxis – speziell interessant macht, in diesem Gebiet zu arbeiten. Derzeit große Themen sind sicher der Einsatz und der Umgang mit maschinellem Lernen und künstlicher (oder vielleicht eher «erweiterter») Intelligenz im Versicherungsbereich, das Thema Langlebigkeit und Generationengerechtigkeit bei Pensionen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Versicherungsbranche und Nachhaltigkeit im Allgemeinen. Zu diesen Themen sind auch die nächsten Spezialausgaben des EAJ in Vorbereitung. Aber was danach oder zusätzlich in den nächsten Jahren wichtig wird, kann nur die Zukunft zeigen. Mit dem derzeit wissenschaftlichen und praktischen verfügbaren Rüstzeug sind wir aber für die nächsten Herausforderungen denke ich gut gewappnet. Das Schöne an der Versicherungsmathematik ist, dass sie bestmögliche Lösungen für die derzeit wichtigen Fragestellungen auf Basis des bis dato aufgebauten Verständnisses, der Adaptierung bereits vorhandener Techniken sowie kreativer Ergänzungen oder Neu-Entwicklungen sucht. Mit dem EAJ zu diesem Prozess beizutragen, sehe ich als besondere Motivation und Mission dieses Journals.