Soziale Sicherheit im Wandel: aktuarielle Perspektiven und Prognosen
Steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenrate führen zu einer alternden Bevölkerung und einem Ungleichgewicht zwischen Rentnern und Erwerbstätigen. Die langfristige Finanzierung der Renten stellt daher für das bestehende umlagefinanzierte Rentensystem der gesetzlichen Rentenversicherung eine große Herausforderung dar. Deshalb ist eine ausgewogene und nachhaltige Gestaltung der Sozialsysteme unter Einbeziehung aller drei Säulen der Alterssicherung besonders wichtig.
In Schweden wurden bei der Reform des Rentensystems in den 1990er-Jahren die Anforderungen an ein Rentensystem zusammengestellt, das ein angemessenes Renteneinkommen gewährleisten und auf wirtschaftliche und demo- grafische Schwankungen reagieren kann. Das System soll finanziell nachhaltig bleiben, Anreize für eine lange Lebensarbeitszeit bieten, die Lohnnebenkosten stabilisieren, das Risiko der Langlebigkeit beherrschbar machen und Wahlmöglichkeiten für das Renteneintrittsalter und Investitionen in den Kapitalmarkt anbieten. Auch die aktuellen Reformen des deutschen Rentensystems verfolgen einige dieser Ziele.
Stellschrauben in der Altersversorgung
Eine wichtige Stellschraube in der Altersversorgung ist die Regelaltersgrenze. Einnahmen aus Beiträgen, Kapitalerträgen bzw. Zuwendungen und Auszahlungen von Renten müssen sich in jedem System der Altersversorgung die Waage halten. Erhöht sich z. B. die Lebensdauer der Rent- ner, steigen die Ausgaben auf der Leistungsseite. Um bei gleichbleibenden Beitragshöhen ein Gleichgewicht zu er- reichen, wäre die Rentenleistung anzupassen, indem z. B. die Rentenhöhe abgesenkt oder die Bezugsdauer verkürzt wird. Die erwartete Bezugsdauer ergibt sich gerade durch die Altersgrenze, ab der man die Regelaltersrente beziehen kann. Diese Altersgrenze ist also ein Dreh- und Angelpunkt für eine sachgerechte Bewertung und Berechnung der Altersrente. Aus diesem Grund gibt es Abschläge für vorzeitige Altersrenten und Zuschläge für aufgeschobene Renten. Seit 2012 wird das Regelalter in der gesetzlichen Rentenversicherung bei unveränderter Leistungshöhe sukzessive von 65 auf 67 Jahre erhöht.
Nach einem Bericht des Spiegels wollen jedoch nur 10,7 Prozent der Beschäftigten bis 67 oder darüber hinaus arbeiten, mehr als 50 Prozent würden dagegen sogar mit 62 oder früher aufhören. Das 8. SGB-IV-Änderungsgesetz ermöglicht Rentnern, neben dem Bezug ihrer Rente weiterhin zu arbeiten, ohne dass ihre Rente gekürzt wird. Die Intention des Gesetzgebers bestand darin, älteren Arbeitnehmern die Flexibilität für eine Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit zu schaffen sowie dem bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Weiter sollte durch den Verbleib im Arbeitsleben der damit verbundene Wissenstransfer gestärkt werden. Bezogen auf die Umsetzung sind jedoch viele Fragen aus dem Arbeits- und Steuerrecht sowie aus Sicht der Verwaltung ungeklärt.
Aktuell diskutiertes gesetzliches Vorhaben: Rentenpaket II
Eine weitere Stellschraube für die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung ist das Rentenniveau. Nach dem derzeitigen Stand sieht das Rentenpaket II als wichtigste Änderung vor, die Haltelinie von 48 Prozent für das Rentenniveau bis zum Jahr 2039 zu verlängern. Das Rentenniveau zeigt die Relation zwischen einer standardisierten Rente (auf Basis von 45 Jahren Beitragszahlung mit einem durchschnittlichen Einkommen) und dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitnehmers. Um trotz der demografischen Veränderungen für eine nachhaltigere und generationengerechtere Finanzierung zu sorgen, ist seit 2004 eine Dämpfung der Rentenerhöhungen vorgesehen. Diese wird nun bei Unterschreitung des Rentenniveaus von 48 Prozent ausgesetzt. Dadurch entstehen Mehrausgaben in der Rentenversicherung, die sich bis zum Jahr 2045 voraussichtlich auf rund 500 Mrd. Euro summieren werden. Die dadurch verursachte zusätzliche Beitragssatzerhöhung wird bis zum Jahr 2045 auf 1,4 Pro- zentpunkte ansteigen, mit einem Beitragssatz von dann 22,7 Prozent.
Um diesen Anstieg zu dämpfen, sieht das Rentenpaket II eine Stiftung „Generationenkapital“ vor. Demnach führt der Bund dem Generationenkapital ab dem Jahr 2024 u. a. Fremdmittel in Form von Darlehen zu. Beginnend mit 12 Mrd. Euro im Jahr 2024 steigt der Betrag in den Folgejahren jährlich um 3 Prozent. Damit wird der Bund bis zum Jahr 2045 in Summe rund 366 Mrd. Euro an Darlehen der Stiftung zugeführt haben. Diese Mittel legt die Stiftung an und begleicht aus den erwirtschafteten Erträgen die zu zahlenden Zinsen des Darlehens. Darüber hinausgehende Erträge verbleiben bei der Stiftung mit der Auflage, dass ab dem Jahr 2036 durchschnittlich 10 Mrd. Euro jährlich an die Rentenversicherung ausgeschüttet werden. Die geplanten Ausschüttungen erfolgen zusätzlich zu den Bundeszuschüssen und sollen zu einem um 0,4 Prozentpunkte niedrigeren Beitragssatz im Jahr 2045 führen.
Freiwillige Einzahlungen in die gesetzliche Rente
Neben dem allgemeinen Rentenniveau ist der individuelle Rentenanspruch ausschlaggebend für die Rentenhöhe. Dieser kann mit freiwilligen Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung verbessert werden. Dies ist schon im geltenden Recht unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Aktuell werden Forderungen nach einer Ausweitung der Möglichkeit von freiwilligen Beiträgen laut. Mit Blick auf eine nachhaltige Finanzierung des Rentensystems ergeben sich damit aber erhebliche Probleme in der Ausgestaltung.
So kann es zu negativen Selektionseffekten kommen, da zusätzliche Zahlungen in der Regel nur von Personen mit einem überdurchschnittlichen Einkommen und einer über- durchschnittlich guten Lebensperspektive gewählt werden. Außerdem sind freiwillige Einzahlungen im Umlageverfahren grundsätzlich problematisch, da sie später zu Mehrleistungen führen, denen ggf. zu dem Zeitpunkt keine weiteren freiwilligen Einzahlungen mehr gegenüberstehen, sodass das Pflichtversicherungskollektiv mit höheren Umlagebei- trägen oder der Staat einspringen müssten. Aus aktuarieller Sicht müssen freiwillige Beiträge daher im Sinne der Generationengerechtigkeit außerhalb des Umlagesysteme so angelegt werden, dass daraus individuelle kapitalgedeckte Ansprüche erwachsen.
Betriebliche Altersversorgung
Die gesetzliche Rente ist mittels Umlageverfahren finanziert. Dieses System ist direkt an den Faktor Arbeit gekoppelt, da die Finanzierung über Entgelt an die produktive Leistung der Arbeitnehmer gebunden ist. Dagegen partizipiert die betriebliche Altersversorgung (bAV) durch Kapitaldeckung direkt an der Wertschöpfung durch Kapital. Das Kapital zur Bedeckung der Ansprüche wird direkt oder mittelbar in Form von Versicherungen am Kapitalmarkt investiert, um Erträge zu erwirtschaften, die die Finanzierung sicherstellen. Die Stärke der Kapitaldeckung liegt in der Nutzung von Zinseszinseffekten und der Möglichkeit, Kapital über die Zeit zu vermehren.
Für Nachhaltigkeit und Stabilität sorgt dabei der solidarische Ausgleich im Kollektiv, sodass nicht jeder Einzelne allein für sein individuelles Anlagerisiko verantwortlich ist. Gleichzeitig werden über einen längeren Zeitraum hinweg positive und negative Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt ausgeglichen, was zu stabilen und nachhaltigen Renditen führt. So wird nicht auf Ressourcen zurückgegriffen, die von früheren oder zukünftigen Generationen erarbeitet werden. Beide Systeme haben ihre Berechtigung – deren Kombination trägt dazu bei, Risiken zu diversifizieren und abzufedern.
Damit Umlage und Kapitaldeckung möglichst effektiv zusammenwirken, sollten kapitalgedeckte Altersversorgungssysteme in Deutschland stärker verbreitet werden. Wie der aktuelle Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeigt, stammen die Einnahmen der heutigen Rentner zu über 60 Prozent aus der gesetzlichen Rente, während die betriebliche Altersversorgung und private Altersvorsorge nur mit 8 bzw. 7 Prozent zum Alterseinkommen beitragen. Hier sind uns viele europäische Nachbarn voraus, denn in vielen europäischen Ländern spielen Kapitaldeckung und bAV eine größere Rolle.
Fazit
Um die Altersversorgung in Deutschland zukunftssicher zu machen, bedarf es einer Vielzahl verschiedener Maßnahmen. Insbesondere die Stärkung der kapitalgedeckten Altersversorgung, die zu mehr Nachhaltigkeit und Diversifikation beiträgt, stellt dafür einen entscheidenden Faktor dar. Auch eine möglichst lange Beteiligung am aktiven Berufsleben dürfte künftig eine immer größere Rolle spielen, wofür insbesondere Anpassungen am Arbeitsmarkt notwendig sind. Zudem gewinnt eine umfassende und leicht zugängliche Information über die eigene Versorgungssituation zunehmend an Bedeutung. Nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und Finanzierungsformen kann die Altersversorgung und damit die soziale Sicherheit gestärkt werden.