Interview mit Susanna Adelhardt (Vorsitzende der DAV)
Das Interview
Frau Adelhardt, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Aktuarvereinigung. Können Sie uns einen Einblick in Ihren beruflichen Werdegang geben? Was hat Sie dazu be-wogen, eine Karriere in der Versicherungsmathematik einzuschlagen?
Vielen Dank! Mein Weg in die Versicherungsmathematik war nicht vorgezeichnet. In meiner Kindheit war ich gerne und viel auf den Bauernhöfen meiner Großeltern unterwegs, auch Autofahren habe ich auf dem Bulldog gelernt. Mein Vater hat im bayerischen Landwirtschaftsministerium gearbeitet, dadurch konnte ich zum Weltwirtschaftsgipfel in München im Fernsehen Bier zapfen, Spargel stechen, oder in der letzten Münchner Mühle Mehl verkaufen. Meine Vorliebe für Mathematik habe ich neben der Astronomie auf einem musischen Gymnasium entdeckt, Interessen, die mich bis heute begleiten: Ein Teleskop steht bei mir im Wohnzimmer, ebenso ein Klavier und die Mathematik ist mein Beruf geworden. Nach einer Banklehre habe ich in der Finanzbranche gearbeitet, zunächst allerdings als Werkstudentin in der IT-Abteilung. Dort habe ich programmiert, implementiert und getestet. Erst nach der Elternzeit für meine beiden Töchter habe ich mich ganz meinem Studienfach, der Statistik, zugewandt und bin innerhalb der Bank in die Abteilung für betriebliche Altersversorgung gewechselt. Mit Begeisterung habe ich mich in dieses neue und faszinierende Themen-gebiet eingearbeitet und bin ihm bis heute treu geblieben.
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?
Mein zentrales Anliegen ist es, den faszinierenden Beruf des Aktuars bzw. der Aktuarin breiter bekannt zu machen, gerade unter jungen Menschen. Denn unser Berufsstand ist gesellschaftlich mehr als relevant, unsere Expertise essenziell, und zwar nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft. Wir brauchen entsprechenden Nachwuchs und wollen daher auch zukünftig viele junge Menschen für die DAV gewinnen. Unser aktuarielles Tätigkeitsfeld erweitert sich laufend, es geht längst nicht mehr nur um klassische Versicherungen, sondern mindestens genauso oft um Finanzmärkte, Klimarisiken, Risikosteuerung und Gesundheitsversorgung. Die „Road to Active Membership“, also der Weg zur aktiven Mitgliedschaft in unserer Vereinigung, ist dafür ein wichtiger Baustein. Für unsere Mitglieder, Teilnehmende am Prüfungssystem oder Interessierte am Aktuarberuf wird damit der Weg zur aktiven Einbindung in die ehrenamtliche Arbeit geebnet. Es beginnt damit, bereits heute die Mitglieder von übermorgen anzusprechen. Mathematische Neugier und Leidenschaft bereits in jungen Jahren zu wecken, ist eine Schlüsselaufgabe, der sich die DAV stellen muss, um auch in Zukunft erfolgreich zu bleiben. Wir wollen Schülerinnen und Schüler für die Faszination und die Breite des aktuariellen Berufsbildes begeistern und gleichzeitig Eltern wie Lehrkräften vermitteln, wie viel Perspektive in unserem Beruf steckt. Junge Menschen, die sich für ein mathematisches Studium entschieden haben oder bereits in der DAV-Ausbildung sind, wollen wir gezielt für eine aktive Mitglied-schaft gewinnen. Alle sollen die Möglichkeit haben, sich in unsere Gemeinschaft einzubringen. Wir werden weiterhin unsere Aktivitäten systematisch aufeinander abstimmen und zielgruppenspezifisch ausbauen. Ich persönlich habe mir auf die Fahnen geschrieben, junge Menschen frühzeitig für den Beruf des Aktuars oder der Aktuarin zu begeistern und damit gleichzeitig die Bekanntheit unseres Berufsstands zu steigern.
Eine weitere große Aufgabe ist es, die Vielfalt innerhalb der DAV zu stärken. Die Maxime „Einheit in Vielfalt“ prägt mein Verständnis einer modernen Vereinskultur. Die DAV ist in den letzten Jahrzehnten dynamisch gewachsen und bringt heute viele unterschiedliche Menschen, Meinungen und Erfahrungen zusammen. Auch in Zukunft muss sichergestellt werden, dass unsere starke Gemeinschaft erlebbar ist. Die Verabschiedung unseres neuen Leitbilds war ein wichtiger Schritt, jetzt gilt es, diesen Weg konsequent fort-zusetzen. Der fachliche wie nicht fachliche Austausch ist unverzichtbar, um eine transparente und breite Willensbil-dung zu ermöglichen. Der direkte Dialog und die Weiterentwicklung bestehender Formate liegen mir dabei besonders am Herzen.
Wie sehen Sie als erste Frau an der Spitze der DAV die aktuelle Vielfalt im Beruf?
Die Aktuarswelt war lange eine Männerdomäne und insofern ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Umso mehr freut es mich, dass bei unseren neuen Mitgliedern die Anteile von Frauen und Männern mittlerweile identisch sind. Die Zusammensetzung des Vorstandes zeigt allerdings, dass wir weiter daran arbeiten müssen, die Vielfalt zu erhöhen und ihr breiten Raum zur Entfaltung zu geben. Denn vor allem unter-schiedliche Perspektiven bereichern unseren Berufsstand, weniger der Umstand, dass jetzt eine Frau an der Spitze steht. Eine offene und gleichzeitig inklusive DAV – das ist mein Ziel.
Welche Branchentrends werden den Beruf der Aktuarinnen und Aktuare in den kommenden Jahren beeinflussen?
Künstliche Intelligenz ist mittlerweile ein allgegenwärtiges Schlagwort für einen Zukunftstrend. Auch ich komme nicht darum herum, sie zu nennen. Wir arbeiten berufsbedingt mit großen Datenmengen, extrahieren daraus Muster und Entwicklungen und projizieren diese in die Zukunft. Genau hier setzt auch die Künstliche Intelligenz an, sie kann weite Teile der technischen Aspekte dieser Analysen übernehmen, die Interpretation der Ergebnisse kann sie uns dagegen nicht abnehmen. Sie stellt uns gleichzeitig vor neue Herausforderungen. Wo hilft sie uns, bessere Modelle zu entwickeln und wo birgt sie Risiken? Ein Beispiel: Ein Sprachmodell kann aktuell noch so gut trainiert sein, es hört jedoch nicht die feinen Zwischen-töne, die wir Menschen unbewusst mitklingen lassen. Wir hören Kontext, auch unsere eigenen Erfahrungen fließen ein. Diese kennt eine Künstliche Intelligenz nicht. So bekommen wir auf zweimal vermeintlich dieselbe Frage, nur minimal anders formuliert, von dem Sprachmodell im Extremfall zwei gegensätzliche Antworten. Diesen Bias innerhalb einer Formulierung sollten wir nicht nur kennen, wir können ihn für Sensitivitätsanalysen sogar nutzen! Weitere Themen, mit denen wir uns jetzt und in Zukunft intensiv beschäftigen, sind der demografische Wandel und Klimarisiken. Wie entwickeln sich langfristig Rentensysteme? Wie kann die Versicherbarkeit von Extremwetterschäden weiterhin gewährleistet werden? Hier ist unsere Expertise gefragter denn je.
Die DAV ist die fünftgrößte Aktuarvereinigung weltweit. Daher ist die internationale Vernetzung für uns keine Frage, sondern selbstverständlich. Dies ist kein Selbstzweck, denn internationale Entwicklungen und Vorgaben prägen die Rahmenbedingungen unseres Berufsstands zunehmend. Unser Engagement und unseren Sachver-stand bringen wir daher institutionell und persönlich auch auf internationaler Ebene in Diskussionen ein, sei es über die Actuarial Association of Europe (AAE), die International Actuarial Association (IAA) oder im direkten Austausch mit anderen nationalen Verbänden. Projekte wie Solvency II, IORPII, FiDA, IRRD oder der europäische AI Act zeigen die Bedeutung internationalen Engagements. Übrigens: Die internationale Vernetzung zahlt ebenfalls auf die Attraktivität der ehrenamtlichen Tätigkeit in der DAV gerade für junge Aktuarinnen und Aktuare ein. Der länder-übergreifende Austausch mit anderen Berufseinsteigenden ist jedes Mal ein Highlight und Motivationsschub für alle Beteiligten.
Die DAV engagiert sich auch stark im Austausch mit der Politik auf Landes- und Bundesebene. Wie möchten Sie diesen Bereich weiterentwickeln?
Der DAV ist schon lange wichtig, dass aktuarielles Wissen in politische Entscheidungen einfließt. Aktuelle Beispiele, bei denen wir uns aktiv einbringen und unsere Expertise auch von der Politik nachgefragt wird, sind die Rentenpolitik oder die Versicherbarkeit von Elementarschäden. Hier haben wir als DAV bereits eine starke Stimme, die gehört wird. Auch zu vielen anderen Themen wie Gesundheit und Pflege, KI-Regulierung und Risikomanagement können, wollen und werden wir weitere Expertise beisteuern.
Welche Rolle spielen ethische Standards für die Arbeit der Aktuarinnen und Aktuare?
Ethische Standards sind für uns von zentraler Bedeutung. Wir arbeiten mit Modellen, die erhebliche Auswirkungen auf Finanz- und Versicherungssysteme haben. Deshalb müssen wir verantwortungsbewusst und transparent agieren. Die DAV hat sich hierfür Standesregeln gegeben, zu denen sich alle Mitglieder verpflichten. Unsere ehrenamtlich aktiven Mitglieder erarbeiten fachliche Handreichungen und Hilfestellungen, um die Grundlage für eine fachlich fundierte Berufsausübung zu schaffen.
Zum Abschluss: Wie sieht Ihre langfristige Vision für die DAV aus?
Ich wünsche mir eine DAV, die weiterwächst, ohne das starke Gefühl für den Zusammenhalt zu verlieren. Eine DAV, in der jeder und jede einen Beitrag leisten kann, ohne sich über die Maßen verpflichtet zu fühlen, und sich genau in dem für ihn und sie passenden Maß einbringen kann. Nur so kann das ehrenamtliche Engagement auch Spaß machen. Wir stehen vor spannenden gesellschaftlichen Herausforderungen. Mit unserer starken Gemeinschaft von klugen Köpfen können wir die Zukunft unseres Berufsstandes erfolgreich gestalten und einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten.
Werdegang Susanna Adelhardts
Ausbildung
- 1995–2001 Studium der Diplom-Statistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München Nebenfächer: BWL und VWL, Anwendungsfach: Informatik
- 1993–1995 Ausbildung zur Bankkauffrau
- 1991 Abitur
Beruflicher Werdegang
- seit 01.03.2024 Vorstandsvorsitzende, HEUBECK AG, verantwortlich für Unternehmensbereich „Aktuarielle Dienstleistungen“
- Feb. 2020–Feb. 2024 Head of Global Benefits, Evonik Industries AG
- Apr. 2017–Feb. 2020 Leitung Altersversorgung, HR Deutschland, Evonik Industries
- Nov. 2017–Feb. 2024 Vorstandsvorsitzende, Pensions-kasse Degussa VVaG, Degussa Unterstützungskasse e.V., Degussa Trust e.V., stellvertretende Vorstands- vorsitzende, Evonik Pension Trust e.V.
Ehrenamtliches Engagement
- seit Apr. 2025 Vorsitzende des DAV-Vorstands
- seit Nov. 2024 Mitglied des Internationalen Ausschusses der DAV
- Apr. 2023–April 2025 Stellvertretende Vorsitzende des DAV-Vorstands
- seit Jun. 2023 Aufsichtsratsmitglied im Pensions-Sicherungs-Verein VVaG, dabei Vorsitzende Kapitalanlageausschuss des Aufsichtsrats
- Juni 2021–Juni 2023 Mitglied im Beirat des PSVaG
- seit Apr. 2021 Mitglied des DAV-Vorstands
- seit Jan. 2018 Mitglied im Pension Committee der AAE
- seit Jan. 2018 Mitglied des IVS-Vorstands
- 2017–2023 Mitglied des Fachausschusses Altersver- sorgung (FAV), Ausschussleitung von Apr. 2020 bis Feb. 2023
- seit 2013 Mitglied des IVS – Institut der Versicherungs-mathematischen Sachverständigen für Altersversor-gung e.V.
- seit 2012 Mitglied der DAV und DGVFM