Interview mit Dr. Frank Wild, Leiter des Wissenschaftlichen Institutes der PKV (WIP) zur Beitragsbelastung in der PKV und GKV.
Er ist Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö) und dort stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss „Krankenversicherung“. Zudem ist er Mitglied im Deutschen Netzwerk für Versorgungsforschung e. V. und dem Verein für Socialpolitik.
Herr Dr. Wild, im Langzeitvergleich von 2005 bis 2025 schneidet die private Krankenversicherung (PKV) im Hinblick auf die Beitragsdynamik besser ab als die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Gründe hierfür?

Unsere Analyse ergab in der Tat, dass die Beitragsbelastung je Versicherten in der PKV seit 2005 um 3,1 Prozent pro Jahr zunahm, während sie in der GKV sogar um 3,8 Prozent pro Jahr stieg. Eine Ursache für den Unterschied ist die demografische Entwicklung. Wir leben in einer alternden Gesellschaft und mit steigendem Alter nimmt auch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen stetig zu. Vor 25 Jahren kamen noch etwa 20 Personen im Rentenalter auf 100 Erwerbsfähige, heute sind es schon 34. Dieser Trend hat unmittelbare Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistungsempfängern und Beitragszahlern. Im Umlageverfahren der GKV wird dadurch ein zunehmender Druck auf den Beitragssatz spürbar. Durch das Anwartschaftsdeckungsverfahren und die damit verbundene Bildung von Alterungsrückstellungen führen dagegen die demografischen Veränderungen in der PKV allein nicht zu einem Anstieg der Prämien. Darüber hinaus verzeichnet die GKV seit vielen Jahren eine leistungsausgabensteigernde Gesetzgebung. Allein das Terminservice- und Versorgungsgesetz kostete beispielsweise im Jahr 2022 4,4 Milliarden Euro, wodurch sogar der Bundesrechnungshof alarmiert wurde. Gleichwohl betrifft der medizinische-technische Fortschritte sowohl PKV als auch GKV. Bei Neuheiten im Gesundheitswesen handelt es sich typischerweise um Produktinnovationen, die zwar die Versorgung verbessern, aber auch die Kosten erhöhen. Kostensparende Prozessinnovationen sind selten. Hier werden zukünftig Impulse durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz erwartet. Übrigens führt der im Zeitverlauf stärkere Anstieg der Beitragsbelastung in der GKV dazu, dass die PKV-Prämien im Vergleich zu den GKV-Beiträgen relativ attraktiver geworden sind, trotz der aktuell hohen Prämienanpassungen in der PKV.
Lebenslauf Dr. Frank Wild

- 1999–2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für „Allgemeine Volkswirtschaftslehre“, TU Freiberg
- 2003 Promotion Wirtschaftswissenschaft
- 2004–2018 Lehrbeauftragter TU Freiberg „Gesundheitsökonomie“
- 2004–2015 Projektleiter Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP)
- 2015 Master „Health and Medical Management”
- Seit 2015 Institutsleiter Wissenschaftliches Institut der PKV (WIP)
- Seit 2021 Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö)
- 2021–2023 Lehrbeauftragter FOM Köln, „International Health Care Management“
- Seit 2023 Stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss „Krankenversicherung“ der dggö
Sie haben auch die Transparenz der Beitragserhöhungen in PKV und GKV verglichen. Welche Unterschiede fallen dabei besonders ins Gewicht, und wie beeinflussen diese die Wahrnehmung der Versicherten?
In der PKV sind Prämienerhöhungen für den Versicherten sofort über den Bescheid seines Versicherers als auch monatlich auf dem Konto sichtbar. Der GKV-Beitrag ist dagegen nur auf dem Gehaltszettel und dort teilweise auch nur der Arbeitnehmerbeitrag erkennbar. Ein stabiler GKV-Beitragssatz suggeriert zunächst eine gleichbleibende Beitragsbelastung. Beitragserhöhungen wirken allerdings oft indirekt, z. B. bei einem höheren Einkommen oder bei einem Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze und vermischen sich beim Blick auf den Nettolohn mit anderen Größen, wie steuerlichen Änderungen. Ich bin mir sicher, dass viele GKV-Versicherte nicht genau wissen, wie viel Geld sie monatlich als Beitrag an ihre Krankenkasse zahlen müssen. Ein GKV-Versicherter mit einem Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze entrichtet aktuell immerhin 965 Euro an Krankenversicherungsbeitrag, zusammen mit dem Pflegeversicherungsbeitrag sind es bei Kinderlosen sogar 1.195 Euro.
„Die Bildung von Alterungsrückstellungen ist ein zentrales und nachhaltiges Verfahren der PKV, um steigende Kosten im Alter abzufedern. Die PKV hat derzeit 341 Milliarden Euro Alterungsrückstellungen gebildet, was immerhin ca. sieben Prozent der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis bedeutet."
Ihre Analyse zeigt, dass die PKV zur Abmilderung von Beitragserhöhungen Rückstellungen nutzt. Wie nachhaltig ist diese Strategie aus Ihrer Sicht?
Die Bildung von Alterungsrückstellungen ist ein zentrales und nachhaltiges Verfahren der PKV, um steigende Kosten im Alter abzufedern. Die PKV hat derzeit 341 Milliarden Euro Alterungsrückstellungen gebildet, was immerhin ca. sieben Prozent der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis bedeutet. Systemimmanent ist der Einfluss des Zinsniveaus, wodurch in Niedrigzinsphasen Prämienerhöhungen notwendig werden können. Die Alterungsrückstellungen sind gegenüber politischen Zugriffen verfassungsrechtlich geschützt. Das unterscheidet dieses Verfahren von staatlich eingerichteten Formen der Kapitalbildung, wie dem Pflegevorsorgefonds in der Sozialen Pflegeversicherung, auf den der Gesetzgeber nach Gutdünken zugreifen kann.
Ein weiterer Aspekt Ihrer Analyse ist die Möglichkeit der Tarifwechsel innerhalb der PKV. Welche Rolle spielen solche Wechsel bei der langfristigen Beitragsgestaltung?
Tarifwechsel ermöglichen es Versicherten, ihre Prämien durch Anpassung der Leistungen zu senken. Dies trägt zur langfristigen Stabilisierung der Prämien bei und hilft bei der Anpassung an die individuellen Bedürfnisse des Versicherten. Tarifwechsel bergen jedoch auch die Gefahr, dass Versicherte eigentlich notwendige Leistungen reduzieren. Der PKV-Verband hat mit seinen Mitgliedsunternehmen Leitlinien zum Tarifwechselrecht erstellt, in denen Kriterien einer guten Praxis zusammengefasst sind. Wichtig ist hierbei vor allem, dass eine bestmögliche Transparenz und Verständlichkeit für die Versicherten über die Tarifalternativen gewährt wird.
Die Kostendynamik im Gesundheitswesen treibt die Beiträge sowohl in der PKV als auch in der GKV in die Höhe. Welche Bereiche tragen besonders stark zu den Kostensteigerungen bei?
Die höchsten Leistungsausgabensteigerungen sehen wir in den Bereichen der Krankenhausbehandlungen und bei den Arzneimitteln. Im Krankenhaus wirken die höheren Pflegepersonalkosten kostentreibend. Das Bundesministerium für Gesundheit spricht von einer Zunahme der Pflegepersonalkosten um 10,9 Prozent im vergangenen Jahr. Bei Arzneimitteln beobachten wir seit vielen Jahren überproportionale Anstiege durch neue Medikamente. Zudem haben sich eine Reihe von teuren Arzneimitteln, wie monoklonale Antikörper, als Behandlungsoption in der breiten Versorgung etabliert. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass in keinem anderen europäischen Land neue Medikamente so schnell in der Versorgung ankommen wie in Deutschland. Eine ganz Reihe von europaweit zwar zugelassenen Medikamenten ist in anderen Ländern auch nach Jahren nicht verfügbar.
Es darf darüber hinaus nicht vergessen werden, dass der Gesetzgeber den Kostenträgern im Gesundheitswesen zunehmend Finanzierungslasten überträgt, die als gesamtgesellschaftliche Aufgaben eigentlich aus Steuern zu finanzieren wären. Eines von vielen Beispielen ist die Finanzierung von COVID-19-Tests für Pflegekräfte.
Die Diskussion um eine Reform der Auslösenden Faktoren hat an Dynamik gewonnen. Welche Änderungen wären aus Ihrer Sicht erforderlich, um die Beiträge stetiger zu gestalten?
Die derzeitige Regulatorik führt zu einer nachlaufenden Anpassung der Prämien, wenn Schwellenwerte beim Anstieg von Versicherungsleistungen überschritten werden. Wir beobachten, dass in vielen PKV-Tarifen durch diesen „Prämienanpassungsstau“ Änderungen mehrere Jahre ausbleiben und die Versicherten dann aber mit einer deutlich spürbaren Erhöhung konfrontiert werden. Während der vergangenen Niedrigzinsphase wurde dieser Effekt noch dadurch verstärkt, dass bei der Kalkulation der neuen Prämienhöhe auch das veränderte Zinsumfeld, das heißt der niedrigere Kalkulationszins angewendet werden musste. Um Beitragserhöhungen zu verstetigen, wäre es sinnvoll, die Schwellenwerte etwas abzusenken. Zu überlegen ist sicher auch eine Anerkennung des Zinses als Auslösenden Faktor. Diese Forderungen werden auch von Verbraucherschützern geteilt.
„Ein GKV-Versicherter mit einem Einkommen an der Beitragsbemessungsgrenze entrichtet aktuell immerhin 965 Euro an Krankenversicherungsbeitrag, zusammen mit dem Pflegeversicherungsbeitrag sind es bei Kinderlosen sogar 1.195 Euro.“
Abschließend: Gibt es etwas, das Sie den PKV-Versicherten angesichts der aktuellen Beitragsanpassungen mit auf den Weg geben möchten?
Die Gesundheitsausgaben steigen seit vielen Jahren. Dies ist neben dem zunehmenden Bedarf an Leistungen infolge des demografischen Wandels auch Ausdruck des Fortschritts in der Medizin. Viele neue diagnostische Möglichkeiten und Therapien führen dazu, dass Menschen länger und bei besserer Lebensqualität leben können. Innovative Behandlungen, insbesondere in der Onkologie, Gen- und Immuntherapie, sind jedoch oft sehr kostenintensiv. Die steigenden Prämien gehen damit mit einem Krankenversicherungsschutz einher, der durch den medizinisch-technischen Fortschritt stetig erweitert wird.