Interview mit BaFin-Exekutivdirektorin Julia Wiens
Sie sind seit Januar 2024 Exekutivdirektorin für den Geschäftsbereich Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der BaFin. Wie haben Sie den Übergang in Ihre neue Position erlebt und welche Eindrücke konnten Sie bereits gewinnen?
Für mich bringt der Wechsel zur BaFin vor allem eine neue Perspektive: Mein Blick richtet sich jetzt auf die gesamte Versicherungsbranche, und ich habe die Möglichkeit, die Branche als Ganzes mitzugestalten – das ist eine hochinteressante und verantwortungsvolle Aufgabe. Meine bisherigen Eindrücke sind absolut positiv. Die Arbeit bei der BaFin ist sehr abwechslungsreich. Anders als man vielleicht vermuten könnte, ist die operative Aufsichtstätigkeit dabei nur ein Aspekt von vielen. Mir gefällt besonders, dass wir unser Know- how auch bei Fragen der Regulierung einbringen können.
Welche unmittelbaren Prioritäten haben Sie sich für Ihre Anfangszeit bei der BaFin gesetzt und möglicherweise bereits in Angriff genommen?
Die Märkte, die Produkte und die Regulierung werden immer komplexer, die Geschäftsmodelle wandeln sich. Die Aufsicht muss in Zukunft noch schneller reagieren, aber vor allem auch agieren. Wichtig ist mir, dass wir bei der Aufsichtstätigkeit die richtigen Schwerpunkte setzen, dabei die verfügbaren Informationen bestmöglich nutzen und unser aufsichtliches Ermessen ebenso konsequent wie konsistent ausüben. Dafür werde ich sicherlich nicht alles umkrempeln, möchte aber einige neue Impulse setzen. Aktuell durchläuft die BaFin einen Modernisierungsprozess und ich freue mich darauf, die Transformation der Aufsicht mitzugestalten und meine Erfahrungen einzubringen. Bei all dem sind eine gute Zusammenarbeit und eine gute Kommunikation unter den Kolleginnen und Kollegen das A und O. Auch hier wollen wir noch besser werden. Insgesamt sehe ich uns auf einem guten Weg.
Sie sagten auf dem GDV Insurance Summit, Ihnen seien zwei Ziele besonders wichtig: Die deutschen Versicherer sollen weiter stabil bleiben. Und Kundinnen und Kunden sollen ihren Versicherern auch in Zukunft vertrauen können. Welche konkreten Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um diese Ziele zu erreichen?
Das Positive vorweg: Die Situation der deutschen Versicherer ist sehr stabil – und derzeit spricht vieles dafür, dass dies auch so bleiben wird. Durch die Zinsentwicklung der letzten Jahre haben sich die wirtschaftlichen Kennzahlen branchenweit verbessert, die Risikotragfähigkeit der Unternehmen wurde gestärkt. Perspektivisch rechne ich zudem mit steigenden Erträgen in der Neu- und Wiederanlage, die wiederum den Versicherern und natürlich auch den Kundinnen und Kunden zugutekommen werden.
Dahingegen sehe ich den Umgang einzelner Versicherer mit den gestiegenen Schadenaufwendungen durchaus kritisch. Infolge der hohen Inflation sind zwangsläufig Prämienerhöhungen und Reserveanpassungen erforderlich. Das haben die Versicherer und speziell die Kfz-Versicherer teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. Hier besteht nach meiner Meinung Verbesserungsbedarf. Ich habe es an anderer Stelle bereits gesagt und wiederhole es gerne noch einmal: Dauerhaft defizitäre Sparten akzeptieren wir nicht. Wir erwarten deshalb, dass die Versicherer im kommenden Jahr weiter nachbessern, soweit dies erforderlich ist.
BaFin-Präsident Mark Branson hat sich in der Jahrespressekonferenz der BaFin am 14. Mai 2024 dafür ausgesprochen, die europäischen Aufsichtsregelwerke systematisch zu vereinfachen. Welche Ansätze sehen Sie hierfür in Ihrem Verantwortungsbereich?
Mir fallen spontan zwei Themen ein, bei denen Vereinfachungen denkbar sind: Zum einen ist das Nachhaltigkeit, zum anderen Solvency II. Welche Ansätze es da gibt, schauen wir uns gerade an. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass vieles nicht in unseren Verantwortungsbereich fällt. Umso mehr begrüße ich die jüngsten Erleichterungen für kleine und weniger komplexe Unternehmen durch den Solvency-II-Review. Aber auch hier wäre sicherlich noch mehr möglich gewesen, um dem Proportionalitätsprinzip Nachdruck zu verleihen.
Inwiefern beeinflussen technologische Entwicklungen wie InsurTechs und künstliche Intelligenz Ihre Aufsichtsstrategie und -praktiken?
Die Digitalisierung begreife ich in erster Linie als Chance, etwa um die zunehmende Komplexität der Finanzmärkte zu meistern und die Effizienz des Aufsichtshandelns zu verbessern. Die Digitalisierung birgt aber auch neue Risiken, die sich beispielsweise aus der Nutzung künstlicher Intelligenz ergeben. Um diese Risiken treffend bewerten zu können und aufsichtliche Vorgaben zum Umgang mit diesen Risiken zu entwickeln, begleiten wir den Einsatz künstlicher Intelligenz im Finanzsektor sehr eng. Im Rahmen von Aufsichtsbesuchen und Workshops tauschen wir uns auch mit den Versicherern aus.
Der Klimawandel und nachhaltige Investitionen sind große Themen in der Versicherungswelt. Welche Rolle spielt die BaFin in der Förderung nachhaltiger Praktiken in der Versicherungsbranche?
Die BaFin verfolgt keine eigenen umwelt-, sozial- oder wirtschaftspolitischen Ziele. Insofern ist es auch nicht Aufgabe der BaFin, nachhaltige Praktiken in der Versicherungsbranche zu fördern. Das ist Sache der Politik. Die BaFin überwacht die Einhaltung der regulatorischen Vorgaben und sorgt so für ein stabiles und funktionsfähiges Finanzsystem. Nur in einem stabilen Finanzsystem kann ausreichend Kapital auch in nachhaltige Investitionen fließen. Und nur dann ist eine effiziente Transformation der Realwirtschaft möglich.
Welche langfristigen Pläne und Visionen haben Sie für die Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht in Deutschland?
Mir ist wichtig, dass die Versicherungsaufsicht als wirk- sam, zielorientiert und durchsetzungsstark wahrgenommen wird. Wir arbeiten daran, unsere Prozesse zu vereinfachen und die Effizienz der Aufsicht weiter zu verbessern. Dabei werden wir auch die Möglichkeiten nutzen, die uns die Digitalisierung bietet. Wir verfolgen einen zunehmend datenbasierten Aufsichtsansatz, um beispielsweise Trends und Entwicklungen frühzeitig zu identifizieren. Das ist Teil der Transformation der BaFin.
Als Aktuarin und Mitglied der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. sind Sie bestens mit der Rolle dieses Berufsstandes vertraut. Welche Erwartungen haben Sie aus Sicht der Aufsicht an die Aktuarinnen und Aktuare, und welche Synergien erhoffen Sie sich durch Ihre Expertise in dieser Position?
Die Aktuarinnen und Aktuare spielen in Versicherungsunternehmen eine wichtige Rolle, etwa bei der Kalkulation der Rückstellungen oder der Tarifierung. Entsprechend hoch ist ihre Verantwortung. Aktuell denke ich beispielsweise an die erforderlichen Anpassungen der Schadenrückstellungen, speziell im Bereich der Kfz-Versicherung. Hier sehe ich, wie gesagt, noch Nachholbedarf. Für die Aufsichtstätigkeit ist es sicherlich hilfreich, dass ich von Hause aus Mathematikerin bin und Praxiserfahrung mitbringe. Ich habe ein gutes Verständnis für die Betriebswirtschaft von Versicherungsunternehmen und weiß, wie die Branche tickt.