Referentenentwurf zum Altersvorsorgereformgesetz – DAV und IVS beziehen Stellung
Vorbemerkungen
Um den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten zu sichern, ist neben der gesetzlichen Rentenversicherung als erster Säule und der betrieblichen Altersversorgung (bAV) als zweiter Säule die private Altersvorsorge (pAV) als dritte Säule ein wichtiges Standbein. Unter anderem mit ihrer Hilfe sollen die Lücken geschlossen werden, die auf die Beitragszahlerinnen und -zahler im Ruhestand zukommen.
Hierfür setzt der Staat auf steuerfinanzierte Subventionierung von Altersvorsorgeverträgen, die diesem Ansinnen dienen.
Die Ziele des Staates sind die lebenslange Sicherung des Lebensstandards im Alter und die Vermeidung von Altersarmut. Daher ist geförderte private Altersvorsorge gerade bei Bürgerinnen und Bürgern mit kleinen und mittleren Einkommen sehr wichtig. Sie ermöglicht es, auch mit geringen Beiträgen, einen erheblichen Beitrag zur eigenen Existenzsicherung im Alter zu leisten. Der nun vorgelegte Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (Altersvorsorgereformgesetz) möchte entsprechende Angebote für breite Bevölkerungsgruppen stärken und insbesondere die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen zum Aufbau einer ergänzenden Altersvorsorge ermutigen.
Die Aktuarinnen und Aktuare, die in der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV) und deren Zweigverein dem IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. organisiert sind, stehen mit ihrer fachlichen Expertise bereit, bei der Entwicklung passender staatlich geförderter Vorsorgesysteme kompetent zu beraten. Auch mit Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung, die staatlich geförderte Vorsorgesysteme übernehmen, kann die kollektive Organisation von Altersvorsorge, also in der Gemeinschaft mit anderen, ihre Stärken ausspielen.
1. Gleichstellung von Renten und Auszahlungsplänen problematisch
1.1 Ziele der Altersvorsorge
Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass Menschen in private Altersvorsorge investieren. Das kann, sofern sie es sich leisten können, auf verschiedenen Wegen und auch jenseits der staatlichen Förderung erfolgen. Wenn es jedoch um die durch Steuergeld vom Staat geförderte Altersvorsorge geht, muss diese unbedingt auf die Ziele des Staates einzahlen. Die Ziele des Staates sind, wie eingangs aufgegriffen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Lebensstandard im Alter ihr ganzes Leben lang halten können und insbesondere nicht in Altersarmut fallen.
Für die Planung der dauerhaften finanziellen Sicherheit im Alter ist für die Menschen von entscheidender Bedeutung, dass
a) in der Ansparphase die eingesetzten finanziellen Mittel ertragreich angelegt werden, ggf. flankiert durch Stabilisierungsmaßnahmen, mit deren Hilfe mögliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten ausgeglichen werden, und
b) in der Auszahlungsphase die Finanzierung des Lebensstandards bis zum Tod gesichert ist, wobei gleichzeitig flexible Ausgestaltungsmöglichkeiten bestehen, die der individuellen Lebenssituation gerecht werden.
1.2 Auszahlungspläne ungeeignet
Die Erweiterung der staatlichen Förderung auf Produkte mit einem Ablaufdatum in der Auszahlungsphase, also Auszahlungspläne (geplante Neuregelung für §1 Abs. 1, S. 1, Nr. 4 b AltZertG) halten wir mit Blick auf dieses staatliche Ziel von Alterssicherungspolitik und die oben genannten Punkte für äußerst problematisch. Sie bieten eben keine Sicherheit des Lebensstandards bis zum Ableben des Rentners oder der Rentnerin. Ein Auszahlungsplan darf beispielsweise laut dem Reformvorschlag (frühestens) mit dem Alter 85 enden. Offen bleibt die Frage, aus welchen Mitteln danach die Alterssicherung erfolgen soll. Mindestens die Hälfte der Menschen wird älter als 85, viele sogar deutlich älter (Vgl. Daten des statistischen Bundesamtes; sowohl Kohortensterbetafel V1 als auch V2). Wenn dann im Auszahlungsplan kein Geld mehr vorhanden ist, stehen die betroffenen Rentner unterversorgt da – wir sprechen hier von mehreren Millionen Menschen. Nur lebenslange Renten können Altersarmut effektiv und verantwortungsvoll auch mit Sicht auf die staatlichen Sicherungssysteme verhindern. Bei Auszahlungsplänen mit Ablaufdatum werden die Chancen, d.h. Vererbung des Restkapitals am Lebensende, individualisiert, die Risiken eines Abreißens des Einkommensstroms aber über die Allgemeinheit kollektiviert. Das kann mit Blick auf die Generationengerechtigkeit nicht das Ziel des Staates sein. Nur ein lebenslanger Zahlungsstrom, der durch ein Kollektiv abgesichert ist, kann davor schützen. Daher sollten auch nur entsprechende Produkte förderfähig sein.
Wir begrüßen, dass der Referentenentwurf ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Auszahlphase eines Altersvorsorgevertrags bei einer stabilen lebenslangen Zahlung aus einem Sockelbetrag gleichzeitig von den Chancen des Kapitalmarkts profitieren können, indem ein Teil des am Beginn der Auszahlphase vorhandenen Kapitals auf Rechnung und Risiko des Vertragspartners angelegt wird. Kollektive, durch Aktuarinnen und Aktuare organisierte, Sicherungssysteme können diese Kombination aus stabilen lebenslangen Zahlungen und für die Vertragspartnerin oder den Vertragspartner individualisierten Nutzung der Renditechancen an den Kapitalmärkten hocheffizient organisieren. Die Reforminitiative der Bundesregierung sollte über den Entwurf hinausgehend durch Erweiterung der Regelungen auf sogenannte dynamische kapitalmarktnahe Renten eine flexiblere Ausgestaltung der Auszahlphase im Sinne der beschriebenen Kombination ermöglichen. Es wird jedoch zu regeln sein, dass die Gesamtrente während der gesamten Auszahlphase nicht unter einen bestimmten Prozentsatz der Rentenzahlung am Beginn der Auszahlphase fallen kann.
2. Vorgesehene Wechselmöglichkeiten setzen fatale Anreize
2.1 Langfristige Anlageplanung in Gefahr
Die vermeintlich im Sinne eines besseren Wettbewerbs vorgesehene, nach fünf Jahren kostenfreie Option von Wechselmöglichkeiten innerhalb der Ansparphase – also der Zeit bis zum Rentenbeginn – halten wir für äußerst problematisch (geplante Neuregelung für § 1 Abs. 1 S. 3 und § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 AltZertG). Langfristig orientierte Investitionen werden dadurch unmöglich, wodurch die Chancen auf eine ertragreiche Kapitalanlage und folglich höhere Rentenzahlungen für die Kunden gemindert werden. Das ist zudem ein gesamtgesellschaftliches Problem, weil diese langfristigen Investitionen unter anderem für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft gebraucht werden.
2.2 Wechselmöglichkeiten problematisch
Wir sehen zudem Regelungen kritisch, aufwändige Wechseloptionen für Kundinnen und Kunden kostenfrei anbieten zu müssen, denn die damit verbundenen Kosten belasten die Effizienz der Angebote all derjenigen Kundinnen und Kunden, die im kollektiven Absicherungssystem verbleiben. Auch Kosten, die beim aufnehmenden Unternehmen anfallen, gehen erheblich zu Lasten des Vorsorgeziels, dessen Stärkung der Sinn und Zweck dieses Reformvorschlags ist. Daher sollten Kostenbelastungen der Kundinnen und Kunden durch das aufnehmende Unternehmen nicht zulässig sein.
2.3 Fazit – vorgesehene Wechselmöglichkeiten anpassen
Die angedachten Wechselmöglichkeiten in der Ansparphase sind problematisch, weil sie die langfristigen Investitionsplanungen erheblich beeinträchtigen, damit gesamtgesellschaftlich relevante Projekte verhindern, die Wirkung des Kollektivs als absichernden Faktor erschweren und die Kosten eines Wechsels lediglich auf die im Kollektiv verbleibenden Altersvorsorgenden abwälzen. All diese Faktoren führen dazu, dass bestandstreue Kundinnen und Kunden sowie letztlich auch der Wettbewerb leiden.
Wir schlagen daher vor, die Wechselmöglichkeiten so auszugestalten, dass sie diese Folgen vermeiden oder zumindest weniger stark ausprägen. Sinnvoll wäre es, Wechseloptionen nur für zukünftige Beiträge zu ermöglichen. So könnte die langfristige Anlage vergangener Beiträge weiterhin im Sinne der Beitragszahlerinnen oder Beitragszahler wirken.
Auch eine Wechseloption zum Ende der Ansparphase wäre eine Möglichkeit, den Planungshorizont der kollektiven Kapitalanlage zu stabilisieren und Langfristinvestitionen weiter möglich zu machen, auch wenn das Kollektiv nach wie vor Antiselektionsrisiken ausgesetzt wäre. Hierbei sollten natürlich ebenfalls keine Wechselkosten auf beiden Seiten, also sowohl bei abgebender als auch bei aufnehmender Stelle, erlaubt sein. Weiter ist es auch wichtig, die Wechseloption für Bestandsverträge auszuschließen. Diese wurden unter anderen Gesichtspunkten geschlossen. Hier muss im Sinne rechtssicherer Planung Bestandschutz gelten.
3. Neue Option bei den Garantien
Die vorgesehene Möglichkeit, bei Garantieprodukten mit Beitragserhaltungszusage zwei Garantieniveaus von entweder 100 Prozent oder 80 Prozent der eingezahlten Beiträge zu ermöglichen (geplante Neuregelung für § 1 Abs. 1, S. 1, Nr. 3 AltZertG), sehen wir als sinnvolle Erweiterung an. Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern wird so eine in ihrem Risiko überschaubare Option gegeben, stärker von Investments am Kapitalmarkt zu profitieren. Produkte mit einer abgesenkten Garantie können einen größeren Anteil der Anlagen am Aktienmarkt investieren und damit auch dessen Renditechancen nutzen. Diese Vorteile sind für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nochmals greifbarer, bei weiterhin wirkungsvoller Stabilisierung der Ansparprozesse, wenn bei Garantieprodukten auch ein drittes Garantieniveau von 60 Prozent der eingezahlten Beiträge ermöglicht wird. Gleichzeit haben Bürgerinnen und Bürger mit einem höheren Sicherheitsbedürfnis noch immer die Option, Produkte mit einer 100-prozentigen Garantie der eingezahlten Beiträge zu wählen.
Wie eingangs formuliert: für die Planung der dauerhaften finanziellen Sicherheit im Alter ist für die Menschen in der Ansparphase von Bedeutung, dass die eingesetzten finanziellen Mittel ertragreich angelegt und während der gesamten Ansparphase durch Stabilisierungsmaßnahmen flankiert werden, mit deren Hilfe mögliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten ausgeglichen werden. Es widerspricht diesem gesellschaftspolitischen Auftrag, wenn gerade das breit zugängliche Standarddepot nur in einer Variante ohne Garantien existieren soll. Ein Garantieniveau von 60 Prozent der eingezahlten Beiträge am Ende der Ansparphase erscheint uns geeigneter. Dem momentan im Gesetzentwurf beschriebenen Standarddepot ohne Garantien drohen im Fall einer Kapitalmarktkrise massive Einbußen im vorhandenen Kapital und damit Reputationsschäden für die staatlich geförderte private Altersvorsorge insgesamt.
4. Implikationen für die betriebliche Altersversorgung
Die für die staatlich geförderte private Altersvorsorge angedachten Regelungen haben auch Auswirkungen auf gesetzliche Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung. Nach § 82 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG gehören zu den bAV-Altersvorsorgebeiträgen zukünftig auch solche Beiträge, bei denen
„für den Zulageberechtigten eine Altersversorgung vereinbart ist, die den Bestimmungen des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 erster und zweiter Halbsatz des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes entspricht, mit der Maßgabe, dass das zu Beginn der Auszahlungsphase zur Verfügung stehende Kapital zu 100 Prozent für eine lebenslange Leibrente oder für einen Auszahlungsplan mit einer anschließenden Teilkapitalverrentung ab spätestens dem 85. Lebensjahr verwendet
wird.“
Wir begrüßen, dass der Gesetzesentwurf für die bAV grundsätzlich die Umwandlung des Versorgungskapitals in eine lebenslange Leistung vorsieht und bei einem Auszahlungsplan am Ende der Laufzeit (spätestens ab Vollendung des 85. Lebensjahres) abweichend von in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 b) cc) AltZertG keine Auszahlung des Restkapitals, sondern ausschließlich eine Restverrentung zulässt (siehe Abschnitt 1.2). Allerdings fordern wir, dass nicht nur Garantieprodukte, sondern auch garantielose Altersvorsorgedepots in der Ausgestaltung des Standarddepots (§ 1c) AltZertG) in die vorstehende Regelung einbezogen werden. Mit der Ausdehnung des § 82 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG auf alle in der pAV förderfähigen Garantieprodukte sowie das Standarddepot wäre eine säulenübergreifende Durchlässigkeit hergestellt, die der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Deutschland einen ungeahnten Schub verleihen könnte.
In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass die Gesetzesbegründung zu diesem Paragrafen im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes steht. Im Gesetz wird explizit § 1 Abs. 1 S. 1 Nummer 4 AltZertG in Bezug genommen, in dem die Auszahlungsvarianten für Garantieprodukte geregelt sind. Beim Garantieprodukt mit 80 Prozent Beitragserhalt ist ausdrücklich vorgesehen, dass 20 Prozent des bei Rentenbeginn vorhandenen Vorsorgekapitals auf Rechnung und Risiko des Vertragspartners angelegt werden dürfen, um daraus lebenslange Auszahlungen in veränderlicher Höhe zu erbringen. In der Gesetzesbegründung wird dagegen behauptet, dass nur die Auszahlungsmodalitäten für Garantieprodukte mit 100 Prozent Beitragserhalt in Frage kommen und insofern nur gleichbleibende oder steigende lebenslange Auszahlungen vorgesehen seien. Wie in Abschnitt 1.2 ausgeführt, halten wir die Öffnung der Auszahlungsmodalitäten für unbedingt erforderlich. Daher bitten wir darum, den Wortlaut des Gesetzestextes an dieser Stelle unverändert zu lassen und die Gesetzesbegründung entsprechend anzupassen. Sollten bei Beibehaltung des jetzigen Gesetzeswortlautes Bedenken gegen ein Garantieniveau von 80 Prozent in der betrieblichen Altersversorgung bestehen, wiederholen wir an dieser Stelle unsere Forderung nach Absenkung des Garantieniveaus für Beitragszusagen mit Mindestleistung. Dieses könnte im Gleichklang mit der jetzt vorgesehenen gesetzlichen Regelung für die private geförderte Altersvorsorge ebenfalls auf 80 Prozent der eingezahlten Beiträge abgesenkt werden.
Grundsätzlich müssen die Systeme von bAV und pAV – vor allem wegen der Einstandspflicht des Arbeitgebers – auch weiterhin getrennt bleiben. Andererseits sollten in der nach § 3 (63) EStG geförderten bAV dieselben Leistungsoptionen möglich sein wie in der pAV, um eine Benachteiligung der bAV zu vermeiden. Da in Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung schon jetzt (und auch weiterhin) geförderte Privatvorsorge möglich ist, muss dabei allerdings sichergestellt werden, dass die Wechseloptionen zwischen verschiedenen Anbietern, die nach dem Gesetzesentwurf in der geförderten Privatvorsorge vorgesehen sind, weder Anwendung in der bAV finden, wo grundsätzlich der Arbeitgeber über den Anbieter entscheidet, noch einen Transfer von Mitteln zwischen bAV und pAV ermöglichen.
5. Produktinformationsstelle Altersversorgung
Die Produktinformationsstelle Altersvorsorge (PIA) soll durch andere Mechanismen ersetzt werden (geplante Abschaffung des § 3a AltZertG). Die PIA hat mit aktuariell-finanzmathematisch basierten Verfahren einen wesentlichen Beitrag zur verständlichen Vergleichbarkeit geförderter Altersvorsorgeprodukte (Chance-Risiko-Klassen, Effektivkosten-Angabe) geleistet. Es ist im Gesetzentwurf nicht erkennbar, dass ein adäquater Ersatz für die existierenden und praxisbewährten Methodiken der PIA geschaffen wird: Die in den Kundeninformationen laut Gesetzentwurf neu anzuwendenden Risiko- und Performanceberechnungen sind bislang gar nicht für kundenindividuelle Informationen vorgesehen.
Mit Abschaffung der PIA würde auch dem von der DAV veröffentlichten PRIIIP Branchenstandard die Grundlage fehlen, da er auf den von PIA entwickelten Modellen beruht. Zudem werden nach diesem Standard von einigen Versicherungsgesellschaften auch Kennzahlen für den Nachweis des Produktnutzens gegenüber den Aufsichtsbehörden (Value for Money) generiert. Mit dem Verlust dieses Standards würde der Verbraucherschutz an vielen Stellen geschwächt und die Standardisierung von Verbraucherinformationen deutlich reduziert.
Wir sehen daher eine hohe Umsetzungskomplexität der Neuregelungen, keine bürokratische Erleichterung und auch keine bessere Informationsgrundlage für Bürgerinnen und Bürger.
