Stellungnahme der DAV zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen eines Gesetzes zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz)
Vorbemerkungen
Um den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten zu sichern, ist neben der gesetzlichen Rentenversicherung als erster Säule und der betrieblichen Altersversorgung als zweiter Säule die private Altersvorsorge als dritte Säule ein wichtiges Standbein. Unter anderem mit ihrer Hilfe sollen die Lücken geschlossen werden, die auf die Beitragszahlerinnen und -zahler im Ruhestand zukommen. Hierfür setzt der Staat auf steuerfinanzierte Subventionierung von Altersvorsorgeverträgen, die diesem Ansinnen dienen.
Die Ziele des Staates sind die lebenslange Sicherung des Lebensstandards im Alter und die Vermeidung von Altersarmut. Daher ist geförderte private Altersvorsorge gerade bei Bürgerinnen und Bürgern mit kleinen und mittleren Einkommen sehr wichtig. Sie ermöglicht es, auch mit geringen Beiträgen, einen erheblichen Beitrag zur eigenen Existenzsicherung im Alter zu leisten. Obgleich sich seit der Einführung der entsprechenden Riester-Gesetzgebung eine zweistellige Millionenzahl von Verbrauchern für einen solchen Vertrag entschieden und damit zusätzliche Anwartschaften aufgebaut hat, stagniert die Anzahl der Verträge seit mehreren Jahren. Dies legt einen Reformbedarf nahe, dem der Referenentwurf gerecht werden soll.
Die Aktuarinnen und Aktuare, die in der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV) und deren Zweigverein dem IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. organisiert sind, stehen mit ihrer fachlichen Expertise bereit, bei der Entwicklung passender staatlich geförderter Vorsorgesysteme kompetent zu beraten. Auch mit Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung, die staatlich geförderte Vorsorgesysteme übernehmen, kann die kollektive Organisation von Altersvorsorge, also in der Gemeinschaft mit anderen, ihre Stärken ausspielen.
Gleichstellung von Renten und Auszahlungsplänen problematisch
Ziele der Altersvorsorge, Auszahlungspläne und Depots ungeeignet, Fazit – nur im Kollektiv lässt sich ein Leben lang absichern
Ziele der Altersvorsorge
Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass Menschen in private Altersvorsorge investieren. Das kann, sofern sie es sich leisten können, auf verschiedenen Wegen und auch jenseits der staatlichen Förderung erfolgen. Wenn es jedoch um die durch Steuergeld vom Staat geförderte Altersvorsorge geht, muss diese unbedingt auf die Ziele des Staates einzahlen. Die Ziele des Staates sind, wie eingangs aufgegriffen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Lebensstandard im Alter ihr ganzes Leben lang halten können und insbesondere nicht in Altersarmut fallen.
Für die Planung der dauerhaften finanziellen Sicherheit im Alter ist für die Menschen von entscheidender Bedeutung, dass
a) in der Ansparphase die eingesetzten finanziellen Mittel ertragreich angelegt werden, ggf. flankiert durch Stabilisierungsmaßnahmen, mit deren Hilfe mögliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten ausgeglichen werden, und
b) in der Auszahlungsphase die Finanzierung des Lebensstandards bis zum Tod gesichert ist, wobei gleichzeitig flexible Ausgestaltungsmöglichkeiten bestehen, die der individuellen Lebenssituation gerecht werden.
Auszahlungspläne und Depots ungeeignet
Die Erweiterung der staatlichen Förderung auf Produkte mit einem Ablaufdatum in der Auszahlungsphase, also Auszahlungspläne (geplante Neuregelung für §1 Abs. 1, S. 1, Nr. 4 b AltZertG) halten wir mit Blick auf dieses staatliche Ziel von Alterssicherungspolitik und die oben genannten Punkte für äußerst problematisch. Sie bieten eben keine Sicherheit des Lebensstandards bis zum Ableben des Rentners oder der Rentnerin. Ein Auszahlungsplan muss beispielsweise laut dem Reformvorschlag mindestens bis zum Alter 85 auszahlen. Offen bleibt die Frage, was danach geschieht. Mindestens die Hälfte der Menschen wird älter als 85, viele sogar deutlich älter (Vgl. Daten des statistischen Bundesamtes; sowohl Kohortensterbetafel V1 als auch V2). Wenn dann im Auszahlungsplan kein Geld mehr vorhanden ist, stehen die betroffenen Rentner unterversorgt da – wir sprechen hier von mehreren Millionen Menschen. Nur ein lebenslanger Zahlungsstrom, der durch ein Kollektiv abgesichert ist, kann davor schützen. Daher sollten auch nur entsprechende Produkte förderfähig sein.
Ebenso halten wir die Erweiterung der staatlichen Förderung auf Altersvorsorgedepots (geplante Regelungen in §1 Abs. 1b bis 1d AltZertG) für kritisch. Wir sind davon überzeugt, dass wesentliche Zielgruppen einer staatlich geförderten Altersvorsorge effektiver beim Aufbau eines Sicherheitsnetzes für die Grundbedürfnisse im Alter unterstützt werden können, wenn Ansparprozesse kollektive und damit stabilisierende Elemente enthalten. Sie ermöglichen eine ertragreiche, breit diversifizierte Kapitalanlage in der Ansparphase und sichern diese gegen Verwerfungen am Kapitalmarkt ab. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Altersvorsorgedepots verzichten auf diese stabilisierenden Elemente und gefährden so eine breite, auch politische Akzeptanz einer staatlich geförderten Altersvorsorge in Zeiten von Kapitalmarktverwerfungen.
Fazit – nur im Kollektiv lässt sich ein Leben lang absichern
Nur lebenslange Renten können Altersarmut effektiv und verantwortungsvoll auch mit Sicht auf die staatlichen Sicherungssysteme verhindern. Bei Auszahlungsplänen mit Ablaufdatum werden die Chancen, d.h. Vererbung des Restkapitals am Lebensende, individualisiert, die Risiken eines Abreißens des Einkommensstroms aber über die Allgemeinheit kollektiviert. Denn am Ende kommt die staatliche Solidargemeinschaft der dann Steuern zahlenden Generationen für Rentnerinnen und Rentner auf, denen aufgrund eines unzureichenden Auszahlungsplans das Geld ausgeht, obwohl gleichzeitig an anderer Stelle das Restkapital individuell vererbt wird. Das kann mit Blick auf die Generationengerechtigkeit nicht das Ziel des Staates sein. Bei einem garantierten Zahlungsstrom bis ans Lebensende besteht dieses Risiko nicht. Echte Sicherung des Lebensstandards und Schutz vor Altersarmut gelingen daher weder durch Auszahlungspläne noch durch selbst einzuteilende Depotauszahlungen, denen ausgleichende Mechanismen fehlen, sondern nur mit lebenslangen Zahlungsströmen. Dafür braucht es kollektive Systeme, in denen die bestehenden Risiken ausgeglichen werden können. Auch sie bieten diverse Möglichkeiten der Ausgestaltung.
Vorgesehene Wechselmöglichkeiten setzen fatale Anreize
Langfristige Anlageplanung in Gefahr, Wechselmöglichkeiten problematisch, Fazit – vorgesehene Wechselmöglichkeiten anpassen
Langfristige Anlageplanung in Gefahr
Die vermeintlich im Sinne eines besseren Wettbewerbs vorgesehene, nach fünf Jahren kostenfreie Option von Wechselmöglichkeiten innerhalb der Ansparphase – also der Zeit bis zum Rentenbeginn – halten wir für äußerst problematisch (geplante Neuregelung für § 1 Abs. 1 S. 3 bb und § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 AltZertG). Langfristig orientierte Investitionen werden dadurch unmöglich, wodurch die Chancen auf eine ertragreiche Kapitalanlage und folglich höhere Rentenzahlungen für die Kunden gemindert werden. Das ist zudem ein gesamtgesellschaftliches Problem, weil diese langfristigen Investitionen unter anderem für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft gebraucht werden.
Wechselmöglichkeiten problematisch
Wir sehen zudem Regelungen kritisch, aufwändige Wechseloptionen für Kundinnen und Kunden kostenfrei anbieten zu müssen, denn die damit verbundenen Kosten belasten die Effizienz der Angebote all derjenigen Kundinnen und Kunden, die im kollektiven Absicherungssystem verbleiben. Auch Kosten, die beim aufnehmenden Unternehmen anfallen, gehen erheblich zu Lasten des Vorsorgeziels, dessen Stärkung der Sinn und Zweck dieses Reformvorschlags ist. Daher sollten Kostenbelastungen der Kundinnen und Kunden durch das aufnehmende Unternehmen nicht zulässig sein.
Fazit – vorgesehene Wechselmöglichkeiten anpassen
Die angedachten Wechselmöglichkeiten in der Ansparphase sind problematisch, weil sie die langfristigen Investitionsplanungen erheblich beeinträchtigen, damit gesamtgesellschaftlich relevante Projekte verhindern, die Wirkung des Kollektivs als absichernden Faktor erschweren und die Kosten eines Wechsels lediglich auf die im Kollektiv verbleibenden Altersvorsorgenden abwälzen. All diese Faktoren führen dazu, dass bestandstreue Kundinnen und Kunden sowie letztlich auch der Wettbewerb leiden.
Wir schlagen daher vor, die Wechselmöglichkeiten so auszugestalten, dass sie diese Folgen vermeiden oder zumindest weniger stark ausprägen. Sinnvoll wäre es, Wechseloptionen nur für zukünftige Beiträge zu ermöglichen. So könnte die langfristige Anlage vergangener Beiträge weiterhin im Sinne der Beitragszahlerinnen oder Beitragszahler wirken.
Auch eine Wechseloption zum Ende der Ansparphase wäre eine Möglichkeit, den Planungshorizont der kollektiven Kapitalanlage zu stabilisieren und Langfristinvestitionen weiter möglich zu machen, auch wenn das Kollektiv nach wie vor Antiselektionsrisiken ausgesetzt wäre. Hierbei sollten natürlich ebenfalls keine Wechselkosten auf beiden Seiten erlaubt sein. Weiter ist es auch wichtig, die Wechseloption für Bestandsverträge auszuschließen. Diese wurden unter anderen Gesichtspunkten geschlossen. Hier muss im Sinne rechtssicherer Planung Bestandschutz gelten.
Neue bürokratische Hürden
Beim angestrebten Bürokratieabbau gibt es im Entwurf zu verschiedenen Themen Nachbesserungsbedarf.
Beispielsweise ist die Abschaffung der Produktinformationsstelle Altersvorsorge (PIA) zu nennen, die durch andere Mechanismen ersetzt wird (geplante Neuregelung für §1 Abs. 3a AltZertG). Die PIA hat mit aktuariell-finanzmathematisch basierten Verfahren einen wesentlichen Beitrag zur verständlichen Vergleichbarkeit geförderter Altersvorsorgeprodukte (Chance-Risiko-Klassen, Effektivkosten-Angabe) geleistet. Es ist im Gesetzentwurf nicht erkennbar, dass ein adäquater Ersatz für die existierenden und praxisbewährten Methodiken der PIA geschaffen wird: Die in den Kundeninformationen laut Gesetzentwurf neu anzuwendenden Risiko- und Performanceberechnungen sind bislang gar nicht für kundenindividuelle Informationen vorgesehen. Mit Abschaffung der PIA würde auch dem von der DAV veröffentlichten PRIIIP Branchenstandard die Grundlage fehlen, da er auf den von PIA entwickelten Modellen beruht. Wir sehen demnach eine hohe Umsetzungskomplexität der Neuregelungen, keine bürokratische Erleichterung und auch keine bessere Informationsgrundlage für Bürgerinnen und Bürger. Dass laut Gesetzentwurf gleichzeitig neue Kapazitäten für noch zu konzipierende Produktvergleiche aufgebaut werden sollen, lässt weitere Aufwände und Komplexität in der Umsetzung der Neuregelungen erwarten.
Zu nennen sind auch die kombinatorische Komplexität von fünf Produkten in der Ansparphase und drei Formen der Rentenphase oder die nicht rein beitragsproportionalen Förderungen (Geringverdienerförderung, Berufseinsteiger, Obergrenze Kinderzulage). Es dürfen zudem zwei Verträge gefördert werden, aber es sind maximal 3.000 € Eigenbeitrag (später 3.500 €) vorgesehen. Dies wird wieder schwer zu überwachen, bzw. mit entsprechendem Aufwand verbunden sein, der Ressourcen bindet und Kosten verursacht. Hinzu kommen die bereits erwähnten Wechseloptionen, die Bürokratie schaffen.
Neue Optionen bei den Garantien
Die vorgesehene Möglichkeit, bei Garantieprodukten mit Beitragserhaltungszusage zwei Garantieniveaus von entweder 100 Prozent oder 80 Prozent der eingezahlten Beiträge zu ermöglichen (geplante Neuregelung für §1 Abs. 1, S. 1, Nr. 3 AltZertG), sehen wir als sinnvolle Erweiterung an. Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern wird so eine in ihrem Risiko überschaubare Option gegeben, stärker von Investments am Kapitalmarkt zu profitieren. Produkte mit einer abgesenkten Garantie können einen größeren Anteil der Anlagen am Aktienmarkt investieren und damit auch dessen Renditechancen nutzen. Gleichzeit haben Bürgerinnen und Bürger mit einem höheren Sicherheitsbedürfnis noch immer die Option, Produkte mit einer 100-prozentigen Garantie der eingezahlten Beiträge zu wählen.
Implikationen für die betriebliche Altersversorgung
Die für die staatlich geförderte private Altersvorsorge angedachten Regelungen haben auch Auswirkungen auf gesetzliche Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung. Hierbei stellen sich weitere umfangreiche steuerliche, arbeitsrechtliche und aufsichtsrechtliche Fragen, die im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu klären sind. Das IVS wird zu diesem Themenkreis zeitnah eine Ausarbeitung aus aktuarieller Perspektive vorlegen, die relevante Implikationen einordnet.