„Die deutschen Versicherer werden die Folgen der Coronapandemie spüren. Aber als existenzbedrohend schätzen wir die Auswirkungen nicht ein.“ Das hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV), Dr. Guido Bader, heute unterstrichen. Denn derartige Pandemien und deren Folgen seien in den Katastrophen-Szenarien des europaweit gültigen Aufsichtsregimes Solvency II bedacht und würden von den Aktuar*innen jedes Jahr im Rahmen des Risikomanagements berücksichtigt.
Sollte sich die Mortalitätsrate speziell bei den unter 60-Jährigen hierzulande nicht vervielfachen, wofür es derzeit keine Anhaltspunkte gibt, sind die versicherungstechnischen Risiken für die Lebensversicherer nach DAV-Analysen überschaubar. „Wir können aber noch nicht abschätzen, ob mit der bevorstehenden Rezession auch ein Anstieg der Berufsunfähigkeitsfälle einhergehen wird“, gibt Dr. Bader zu bedenken.
Auch in der Privaten Krankenversicherung sei es für eine abschließende Kostenbewertung noch zu früh. Hier gibt es zwei gegenläufige Entwicklungen: Auf der einen Seite verursacht die Coronapandemie hohe stationäre Kosten und die Krankenversicherer haben durch das Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz spürbare Mehrausgaben. Auf der anderen Seite fallen derzeit aber zahlreiche ambulante wie stationäre Behandlungen und Operationen weg oder werden verschoben. Was das für die PKV-Beiträge bedeutet, fasst Dr. Bader wie folgt zusammen: „Die Beiträge für 2021 werden derzeit in den Aktuariaten auf Basis von ‚Vor-Corona-Daten‘ berechnet. Somit können etwaige Kostenauswirkungen der Coronapandemie nächstes Jahr noch gar nicht berücksichtigt werden. Für die Folgejahre können Auswirkungen auf die Beiträge aber nicht ausgeschlossen werden.“
Am schwersten betroffen von der Coronapandemie ist die Industrieversicherung. „Hier realisieren sich noch nie dagewesene Kumulrisiken, da wir in der Veranstaltungsausfall- und der Betriebsschließungsversicherung de facto eine Betroffenheit von 100 Prozent haben“, beschreibt Dr. Bader das Problem. Gleichzeitig beobachten die Aktuar*innen eine zweigeteilte Bewegung in der Haftpflicht- sowie der Hausrat- und Gebäudeversicherung. „Durch das Homeoffice beziehungsweise die Quarantäne gibt es aktuell eine nahezu lückenlose Überwachung des eigenen Zuhauses und dadurch weniger Wasserschäden, Brände und weniger Einbrüche im privaten Bereich“, führt Dr. Bader aus. Im Gegensatz dazu ist im gewerblichen Bereich durch die teilweise längeren Betriebsschließungen mit zusätzlichen Versicherungsfällen zu rechnen. In der Kfz-Versicherung deuten sich insgesamt weniger Schadenfälle an, da weniger gefahren wird und dadurch weniger Unfälle geschehen. „Das kann sich im kommenden Jahr in besseren Schadenfreiheitsklassen für die Versicherungsnehmer*innen niederschlagen“, so Dr. Bader weiter.
Grundsätzlich besorgt zeigt sich der DAV-Vorstandsvorsitzende über die schweren Verwerfungen an den Kapitalmärkten: „Das Zinsniveau war in den vergangenen Monaten bereits extrem niedrig und der Druck hat durch die coronabedingten Markteingriffe der EZB weiter zugenommen. Wir haben im Moment einen Anlagenotstand und dieser wird kurz bis mittelfristig anhalten beziehungsweise sich eher weiter verschärfen.“ Erschwerend komme hinzu, dass nicht nur die Aktien- und Anleihemärkte sich hochvolatil und unberechenbar entwickelten, sondern auch im Immobilien- und Hypothekenmarkt sowie bei den alternativen Investments stabile Renditen in Frage gestellt sein könnten. „Diese Risiken und mögliche Abschreibungen auf die Kapitalanlagen belasten die Bilanzen der Versicherer und wirken sich negativ vor allem auf die Solvency-II-Quoten der Lebensversicherer aus“, prognostiziert Dr. Bader. Bei den Schaden- und privaten Krankenversicherern rechnet die DAV maximal mit moderaten Verschlechterungen der Solvenzquoten.
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